Der menschliche Makel
aus New Brunswick, loszog, um sich das Washington Monument anzusehen, wurde er, als sie sich bei Woolworth Hotdogs kaufen wollten, »Nigger« genannt. Es war für ihn das erste Mal. Und man wollte ihm keinen Hotdog verkaufen. Man wollte ihm bei Woolworth in der Innenstadt von Washington keinen Hotdog verkaufen, und auf dem Weg zum Ausgang nannte man ihn »Nigger«, und darum fiel es ihm nicht so leicht wie im Ring, sich von seinen Gefühlen zu distanzieren. An der East Orange Highschool der Klassenbeste, im Süden, wo Rassentrennung herrschte, bloß ein Nigger. Im Süden gab es keine abgetrennten Identitäten, nicht einmal für ihn und seinen Zimmergenossen. Solche feinen Unterschiede waren nicht gestattet, und das traf ihn wie ein Keulenschlag. Nigger - und damit meinte man ihn.
Natürlich war er auch in East Orange nicht von den nur geringfügig weniger bösartigen Formen der Ausgrenzung verschont geblieben, die seine Familie und die kleine schwarze Gemeinde vom Rest der Gesellschaft trennten - von all den Dingen, die, wie sein Vater sich ausdrückte, ein Ausfluss der »Negrophobie« dieses Landes waren. Und er wusste auch, dass sein Vater in den Speisewagen der Pennsylvania Railroad Beleidigungen zu hören bekam und, Gewerkschaft hin oder her, von seinen Vorgesetzten ungerecht behandelt wurde - Dinge, die weit demütigender waren als alles, was Coleman in East Orange als ein Junge zu ertragen hatte, der nicht nur so hellhäutig war, wie ein Neger nur sein konnte, sondern auch überschäumend, rastlos, aufgeweckt und obendrein eine Sportskanone und ein Einserschüler. Er sah, wie sein Vater sich mit aller Kraft beherrschte, um nicht zu explodieren, wenn er von der Arbeit nach Hause kam und etwas vorgefallen war, auf das er, sofern er seine Stelle nicht verlieren wollte, nicht anders als mit einem fügsamen »Ja, Sir« reagieren konnte. Dass Neger, die hellhäutiger waren, auch besser behandelt wurden, stimmte nicht immer. »Jedes Mal, wenn ein Weißer mit einem spricht«, sagte sein Vater zu seiner Familie, »setzt er, ganz gleich, wie wohlmeinend seine Absichten sind, voraus, dass er es mit jemandem zu tun hat, der ihm intellektuell unterlegen ist. Irgendwie, und zwar nicht unbedingt durch seine Wortwahl, sondern vielleicht durch seinen Gesichtsausdruck, seinen Tonfall, seine Ungeduld oder auch durch das Gegenteil, nämlich durch seine Nachsicht, seine Zurschaustellung wunderbarer Menschlichkeit, vermittelt er den Eindruck, dass er mit jemandem spricht, der dumm ist, und wenn er merkt, dass es sich nicht so verhält, ist er höchst erstaunt.« »Was war denn los, Dad?«, fragte Coleman dann, doch ebenso sehr aus Stolz wie aus Abscheu war sein Vater nur selten bereit, den Vorfall zu schildern. Es reichte ihm, einige pädagogische Leitsätze gesagt zu haben. »Zu erzählen, was geschehen ist«, erklärte Colemans Mutter dann, »ist unter der Würde deines Vaters.«
An der East Orange Highschool gab es Lehrer, bei denen Coleman im Vergleich zu dem, was sie intelligenten weißen Schülern zuteilwerden ließen, eine Ungleichheit der Anerkennung, eine Ungleichheit der Billigung verspürte, wenn auch nie in einem Maße, dass diese Ungleichheit ihm den Weg versperrt hätte. Welcher Art diese Hindernisse oder Zurücksetzungen auch waren - er überwand sie wie die Hürden beim Hürdenlauf. Er ging - und sei es nur, um Ungerührtheit vorzutäuschen - schulterzuckend über Dinge hinweg, die Walter beispielsweise nicht übergehen konnte und wollte. Walt spielte Football in der Schulmannschaft, hatte gute Noten und war ein ebenso ungewöhnlich hellhäutiger Neger wie Coleman, und doch reagierte er auf alles ein bisschen wütender als dieser. Wenn er zum Beispiel nicht in das Haus eines weißen Jungen gebeten wurde, sondern vor der Tür warten musste, wenn er nicht zum Geburtstag eines weißen Mitspielers eingeladen wurde, den er idiotischerweise für seinen Freund gehalten hatte, dann bekam Coleman, der das Zimmer mit ihm teilte, diese Geschichte noch monatelang zu hören. Als Walt in Trigonometrie keine Eins bekam, ging er zu seinem Lehrer, baute sich vor ihm auf und sagte ihm in sein weißes Gesicht: »Ich glaube, Sie haben einen Fehler gemacht.« Der Lehrer ging, um die Einträge in seinem Notenbuch mit den Noten für Walters Arbeiten zu vergleichen, kam zurück und gab seinen Fehler zu, besaß aber die Unverschämtheit zu sagen: »Ich konnte gar nicht glauben, dass deine Noten so gut sind.« Und erst nach dieser Bemerkung
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