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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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Pappschachtel teilten und laut über irgendeinen Witz lachten, den einer von ihnen gemacht hatte. Die einzige Frau in der Gruppe und das Zentrum der Aufmerksamkeit ihrer Kollegen - sie war es, die den Witz erzählt oder die schlagfertige Bemerkung gemacht oder einen von ihnen auf den Arm genommen hatte und nun am lautesten lachte - war Faunia Farley.
    Die Männer waren etwa Anfang Dreißig. Zwei von ihnen trugen Bärte, und einer der beiden hatte einen langen Pferdeschwanz und war besonders breit und stiernackig. Er war der einzige, der stand, anscheinend damit er Faunia, die mit gestreckten Beinen auf dem Boden saß, den Kopf in der Ausgelassenheit des Augenblicks in den Nacken geworfen, leichter überragen konnte. Ihr Haar überraschte Coleman. Sie trug es offen. Sonst band sie es immer mit einem Gummiband fest im Nacken zusammen - nur im Bett löste sie das Band, damit das Haar über ihre nackten Schultern fallen konnte.
    Mit den Jungs. Dies mussten die »Jungs« sein, von denen sie erzählt hatte. Einer von ihnen war seit Kurzem geschieden - ein erfolgloser ehemaliger Kfz-Mechaniker, der ihren Chevy in Schuss hielt und sie zur Arbeit und wieder nach Hause fuhr, wenn das verdammte Ding all seinen Bemühungen zum Trotz nicht anspringen wollte, und einer von ihnen wollte an den Abenden, an denen seine Frau in der Blackwell-Pappschachtelfabrik die Spätschicht hatte, mit ihr in ein Pornokino gehen, und einer war so unbedarft, dass er nicht mal wusste, was ein Hermaphrodit war. Wenn das Gespräch auf die Jungs kam, hörte Coleman zu, ohne irgendwelche Bemerkungen zu machen oder seinen Ärger über das, was sie zu erzählen hatte, zum Ausdruck zu bringen, auch wenn er sich angesichts der Themen, über die sie sich Faunia zufolge unterhielten, fragte, welcher Art das Interesse dieser Männer an ihr war. Aber da sie nicht unaufhörlich von ihnen sprach und er sie auch nicht durch Fragen dazu ermunterte, machten die Jungs auf Coleman auch nicht den Eindruck, den sie beispielsweise auf Lester Farley gemacht hätten. Natürlich hätte Faunia in ihrer Gegenwart ein bisschen weniger ungezwungen sein und sich ihren Fantasien nicht ganz so bereitwillig zur Verfügung stellen können, aber selbst wenn Coleman den Drang verspürte, diesen Vorschlag zu machen, fiel es ihm nicht schwer, sich zu beherrschen. Sie konnte so anzügliche oder harmlose Dinge sagen, wie sie wollte, und wenn sich daraus irgendwelche Konsequenzen ergaben, würde sie diese selbst tragen müssen. Sie war nicht seine Tochter. Sie war nicht einmal seine »Freundin«. Sie war, was sie war.
    Doch als er sie aus dem Schatten der North Hall, in den er rasch zurückgewichen war, beobachtete, war es nicht annähernd so leicht, einen so distanzierten und toleranten Standpunkt einzunehmen, denn er sah jetzt nicht nur das, was er immer sah - nämlich was die Tatsache, dass ihr so wenig geglückt war, bei ihr angerichtet hatte -, sondern vielleicht auch, warum ihr so wenig geglückt war. Von dort, wo er, kaum fünfzehn Meter entfernt, stand, konnte er überdeutlich sehen, wie sie sich ihre Stichworte nun, da er nicht da war, um sie einzuwerfen, von dem ungehobeltsten, ordinärsten männlichen Exemplar in ihrer Gegenwart geben ließ, von dem, der in menschlicher Hinsicht am wenigsten erwarten ließ und dessen Selbstbild das seichteste war. Da Voluptas, ganz gleich, wie intelligent du sein magst, praktisch alles Wirklichkeit werden lassen kann, was du zu denken imstande bist, werden gewisse Möglichkeiten nie bedacht, geschweige denn nachdrücklich vermutet, und die Qualitäten deiner Voluptas korrekt einzuschätzen, ist das letzte, wozu du imstande bist ... das heißt, bis du dich im Schatten verbirgst und zusiehst, wie sie, mit angezogenen, leicht geöffneten Knien, auf der einen Hand zerlaufenen Pizzakäse, in der anderen eine Dose Diät-Cola, auf dem Rücken im Gras liegt und schallend lacht - über was? einen Hermaphroditismus? -, während in Gestalt eines gescheiterten Autoschraubers ein Mann über ihr aufragt, der in allem die Antithese deiner eigenen Lebensart ist. Ein zweiter Farley? Ein zweiter Les Farley? Vielleicht niemand, der so bedrohlich ist wie er, aber eher ein Ersatz für Farley als ein Ersatz für Coleman.
    Eine Campus-Szene, die scheinbar ohne Bedeutung gewesen wäre, hätte Coleman sie, wie es zweifellos oft der Fall gewesen war, an einem Sommertag zu seiner Zeit als Dekan beobachtet, eine Campus-Szene, die damals in seinen Augen nicht nur harmlos

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