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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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diesem Tugendbolzen von einer Frau.«
    »Glaubst du, sie ist ein Tugendbolzen?«
    »Aber sicher.«
    »Sie und Vince Foster?«
    »Na ja, natürlich kann sie sich in irgendjemanden verlieben, aber sie hätte nie irgendwas Verrücktes getan, denn schließlich war er verheiratet . Bei ihr wird sogar Ehebruch langweilig. Sie ist die reinste Mutter Teresa der Schlafzimmer.«
    »Und du meinst, sie hat mit Foster gevögelt?«
    »Ja. Ganz klar.«
    »Inzwischen liebt die ganze Welt diese Tugendhaftigkeit. Das ist genau das, was sie lieben.«
    »Es war genial von Clinton, Vince Foster einen Job in Washington zu geben. Ihn genau dorthin zu holen. Ihm Gelegenheit zu geben, seinen persönlichen Beitrag zu leisten. Das war genial. Das hat Clinton wie ein guter Mafia-Don gemacht, und dafür war sie ihm was schuldig.«
    »Ja. Stimmt. Aber mit Monica hat er es nicht so gemacht. Der einzige, mit dem er über Monica sprechen konnte, war Vernon Jordan. Der wahrscheinlich auch der beste Mann für solche Gespräche war. Aber sie haben sie falsch eingeschätzt, denn sie dachten, dass sie bloß mit ihren blöden kalifornischen Perlenketten-Freundinnen reden würde. Was soll's? Aber dass diese Linda Tripp, dieser Jago, dieser getarnte Jago, der für Starr im Weißen Haus gearbeitet hat ...«
    Coleman stand auf und ging in Richtung Campus. Das war alles, was er vom Chor gehört hatte, während er in der Grünanlage auf der Bank saß und darüber nachdachte, was er als nächstes tun würde. Die Stimmen hatte er nicht erkannt, und da die Männer ihm den Rücken zukehrten und ihre Bank auf der anderen Seite des Baums stand, konnte er ihre Gesichter nicht sehen. Er vermutete, dass es drei junge Spunde waren, die nach seiner Zeit am College eingestellt worden waren, und dass sie Mineralwasser oder koffeinfreien Kaffee aus Pappbechern tranken. Wahrscheinlich kamen sie gerade aus dem Fitnesscenter oder vom Tennisplatz, und jetzt entspannten sie sich und unterhielten sich über die neuesten Clinton-Nachrichten, bevor sie nach Hause zu ihren Frauen und Kindern fuhren. Sie klangen, wie er fand, sexuell erfahren und selbstsicher, und zwar auf eine Weise, die er nicht mit jungen Assistenzprofessoren verband, und gewiss nicht mit solchen, die in Athena arbeiteten. Ziemlich unverblümt, ziemlich unfein für ein Gespräch unter Akademikern. Zu schade, dass diese harten Burschen nicht schon zu seiner Zeit da gewesen waren. Sie hätten vielleicht als Kern des Widerstands gegen ... Nein, nein. Auf dem Campus, wo nicht jeder ein Tennispartner ist, verpufft diese Art von Kraft in Witzen, wenn sie nicht überhaupt freiwillig unterdrückt wird - sie wären wahrscheinlich ebenso wenig bereit gewesen, sich hinter ihn zu stellen, wie der Rest der Fakultät. Und überhaupt: Er kannte sie nicht und wollte sie auch gar nicht kennen. Er kannte niemanden mehr. Er hatte zwei Jahre zuvor, als er mit Dunkle Gestalten begonnen hatte, alle Verbindungen zu den Freunden, Kollegen und Mitarbeitern, die ihn ein Leben lang begleitet hatten, abgebrochen, und so war er erst heute - kurz vor Mittag, nach der Unterredung mit Nelson Primus, die nicht bloß schlecht, sondern überwältigend schlecht geendet hatte und bei der Coleman selbst über seine ausfallenden Worte verblüfft gewesen war - wieder auf den Gedanken gekommen, von der Town Street in die South Ward abzubiegen, wie er es jetzt tat, und am Denkmal für die Gefallenen des Bürgerkriegs vorbei den Hügel hinauf zum Campus zu gehen. Es war gut möglich, dass er niemandem begegnen würde, den er kannte, es sei denn vielleicht einem der Leiter der Kurse für die Pensionäre, die im Juli ein paar Wochen lang an dem Seniorenprogramm teilnahmen, zu dem auch Besuche des Norman Rockwell Museum, der Konzerte in Tanglewood und der Galerien in Stockbridge gehörten.
    Diese Sommerstudenten waren das erste, was er sah, als er die Hügelkuppe erreicht hatte und an dem alten Astronomiegebäude vorbei in das mit sonnigen Flecken gesprenkelte Hauptgeviert trat, das in diesem Augenblick sogar noch kitschiger und akademischer aussah als auf dem Titelblatt der Athenabroschüre. Sie gingen paarweise auf einem der baumgesäumten, sich mäandernd kreuzenden Wege zum Mittagessen in die Cafeteria. Es war eine Prozession in Zweierreihen: Paare von Ehemännern und Ehefrauen, Paare von Ehemännern, Paare von Ehefrauen, Paare von Witwen, Paare von Witwern, Paare von Witwen und Witwern - so kamen sie Coleman jedenfalls vor -, die sich hier in den

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