Der Metallschwarm
herablassende und geringschätzige Einstellung den menschlichen Siedlern gegenüber auf. Nicht einmal die naivsten Kolonisten verdienten ein solches Schicksal. Er fühlte echte Anteilnahme und auch Zorn auf jene, die Tod und Zerstörung nach Wollamor gebracht hatten. Mit so etwas hatte er bestimmt nicht gerechnet. Voller Unbehagen dachte er daran, wie es auf den anderen alten Klikiss- Welten aussehen mochte.
»Rufen Sie alle unsere Gruppen auf dem Planeten zurück. Wir brechen auf und machen uns sofort auf den Weg zu den nächsten von Menschen besiedelten Klikiss-Planeten. Ich fürchte, die Zeit drängt.«
61 ANTON COLICOS
Während der großen Veränderungen blieb der Saal der Erinnerer fünf Tage lang geschlossen.
Anton und Vao'sh beobachteten, wie kräftig gebaute Ildiraner des Arbeiter- Geschlechts Diamantfilmplatten mit dem eingeätzten Text der Saga der Sieben Sonnen von den Wänden lösten. Sie mussten Brecheisen einsetzen, und eine der spröden Platten brach an der Ecke. Als sie im Saal der Erinnerer angebracht worden waren, hatten sie als unzerstörbar gegol ten. Niemand hätte es damals für möglich gehalten, dass sie einmal von den Wänden entfernt werden mussten, weil es erforderlich war, den Text der Saga neu zu schreiben. Jetzt geschah das Unglaubliche.
Diamantfilmplatten fielen zu Boden. Die Angehörigen des Arbeiter- Geschlechts lasen das Epos nicht, aber alle Ildiraner lauschten den Geschichten der Erinnerer. Viele von ihnen kannten Teile der Saga auswendig. Wie ihre Eltern und vielen Generationen vorher waren sie mit dem Glauben an die unerschütterliche Wahrheit der Saga aufgewachsen. Die Vorstellung, dass mit den alten Aufzeichnungen irgendetwas nicht stimmte, verunsicherte sie zutiefst.
Anton erinnerte sich an seine akademischen Erfahrungen auf der Erde; er wusste, wie groß der Widerstand sein konnte, wenn sich eine ganze Disziplin fundamentalen Veränderungen gegenübersah. Die Erde soll sich um die Sonne drehen und nicht umgekehrt? In der menschlichen Geschichte hatten solche Kontroversen zur Verbrennung angeblicher Ketzer geführt, obwohl Menschen daran gewöhnt waren, Althergebrachtes infrage zu stellen. Wandel überforderte viele Ildiraner und insbesondere die Erinnerer unter ihnen.
Einige Erinnerer litten sehr unter dem Vorgang. Der Oberste Schreiber Ko'sh stützte sich an einer Wand ab. Die Farbe war aus den nun grauweißen Hautlappen in seinem Gesicht gewichen. Vao'sh wirkte ähnlich verstört, forderte die Arbeiter aber mit einem Nicken auf, ihre Bemühungen fortzusetzen. »Es ist der Wille des Weisen Imperators.«
»Wie kann der Weise Imperator so etwas angeordnet haben?«, ächzte Ko'sh. Anton versuchte, optimistisch zu klingen. »Wir haben die neuen Platten bald fertig. Sie sind bereits in Arbeit.«
Ko'shs Aufgabe hatte darin bestanden, jede Zeile zu perfektionieren, bevor sie der Saga hinzugefügt wurde. Er atmete schwer und schien nicht genug Luft zu bekommen. »Wir müssen die Saga ganz neu lernen. Nicht nur die jungen Erinnerer und die Schüler, sondern wir alle, Vao'sh! Ein ganzes Leben haben wir damit verbracht, uns die Saga einzuprägen, und jetzt müssen wir einen Teil davon einfach wegwerfen. Dies ist schlimmer als die Verlorene Zeit.«
»Es geht nicht darum, irgendetwas wegzuwerfen. Wir korrigieren Dinge. Wir beseitigen Fehler, die zu lange Teil der Saga gewesen sind.«
Anton hatte gesehen, wie Erinnerer-Kinder in diesen Saal gebracht worden waren, damit sie den Text einer Diamantfilmplatte nach der anderen auswendig lernten. Doch frühere Weise Imperatoren waren an einer aus Desinformation und Zensur bestehenden Verschwörung beteiligt gewesen, und die Ildiraner hatten jedes Wort geglaubt. Der Oberste Schreiber musste einsehen, wie falsch das war.
Ko'sh brachte es nicht mehr fertig, den Arbeitern dabei zuzusehen, wie sie die Platten von den Wänden lösten. Er sank auf die Knie und rieb sich die Hautlappen an der Stirn. Der Oberste Schreiber hob den Kopf wie ein schweres Gewicht und sah Anton an.
»Die uns allen bekannte Saga ist über Jahrtausende hinweg nicht verändert worden. Wir sind Teil der Geschichte. Wir haben darin gelebt. Wir kennen unseren Platz im großen Epos. Aber seit wir Kontakt mit den Menschen haben - seit wir ihnen erlaubt haben, die Fäden unserer Geschichten zu ver- knoten -, ist nichts mehr wie vorher.« Wie beschwörend hob er die Hände, die Innenflächen nach oben gerichtet.
»Die Geschichte des Universums gehört nicht nur den
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