Der Metzger geht fremd
Vorgangs, dass das Rad wahrscheinlich alles hat, nur keinen Rücktritt. Was bedeutet, dass jedes weitere hektische Nach-hinten-Treten genauso viel bringt, als würde er nach vorn in die Luft pusten. Wer so wie der Metzger noch nie zuvor mit den Fingern gebremst hat, wird im Zustand einer Heidenangst alles tun, nur nicht mit den Fingern bremsen. »Abspringen oder mit aller Kraft die Lenkstange festhalten?«, geht es ihm durch den Kopf.
Trotz des aller Voraussicht nach bevorstehenden chirurgischen Eingriffs entscheidet sich der Metzger aus emotionalen Gründen für die zweite Lösung.
In der Ferne taucht der Wegweiser zur Pension samt der T-Kreuzung zur Hauptstraße und dem dahinter liegenden Waldgebiet auf. Dann übernimmt der Verstand das Hirn, reißt den Lenker scharf nach links und runter vom Schotterweg. Der Metzger kommt in den Genuss des vorderen Stoßdämpfers, steuert das Rad kontrolliert über die holprige Wiese, setzt sich auf den Sattel, nimmt die Füße von den Pedalen, spreizt die Beine seitlich vom Rad ab und schließt die Augen.
8
P ROF. D R. W INFRIED B ERTHOLD hat sie alle nach dem Frühstück im Speisesaal antreten lassen, hinter sich das gesamte Personal, vor sich die Kurgäste. Streng erhebt er, natürlich nach mehrmaligem Räuspern, seine Stimme: »Meine Damen und Herren – mhhhmh –, ich weiß, dass hier viele von Ihnen glauben, Sie seien zum Vergnügen in dieser Kuranstalt – mhhhmh. Und vergnügen sollen Sie sich ja auch!« Einer kurzen Gedankenpause folgt die deutlich lautere Fortsetzung der Ansprache: »Aber Grundlage dieses Vergnügens ist immer noch die Einhaltung der vorgeschriebenen Therapie, der festgelegten Termine und vor allem der Hausordnung!«
Stumm werden erstaunte Blicke der Sorte »Ich doch nicht!« im Saal ausgetauscht, während der medizinische Leiter des Hauses energisch fortsetzt: »Und glauben Sie mir, wir haben uns bei alldem etwas gedacht – mhhhmh. Unser Ziel ist es, dass Sie gesünder und erholter nach Hause kommen –«
Es folgen eine weitere Unterbrechung, ein tiefes Luftholen mit anschließender Atempause und das Heraustreten der Adern auf seiner Stirn.
Dann brüllt er: »– und nicht tot!«
Ein Raunen geht durch den Saal.
»Noch nie ist in meinem Haus jemand umgekommen, und noch nie habe ich ein derart undiszipliniertes Publikum gehabt wie zurzeit, mit den daraus resultierenden Beschwerden der Ärzte und Therapeuten. Gestern Nacht wurde Herr August-David Friedmann nackt im Schwimmbecken aufgefunden. Ertrunken!«
Abermals erheben sich gedämpft die Stimmen.
»Ich weiß nicht, was manche hier treiben, aber ab jetzt, meine Herrschaften, werde ich über jeden, der hier vom Kurs abweicht, eine Beschwerde genau an die Stellen schicken, die Ihnen Ihren noblen Kuraufenthalt hier finanzieren. Das Schwimmbad ist bis auf Widerruf geschlossen!«
Mit diesem Satz knallt er hinter sich die Tür zu.
Das war wohl längste störungsfreie Berthold-Sprachbeitrag überhaupt, denkt sich die Djurkovic und bemerkt abermals, wie schon während ihrer Gespräche mit dem Professor, dieses seltsame Kratzen im Hals.
Noch bevor aus dem betretenen Schweigen ein Stimmengewirr wird, sind die Djurkovic und die Burgstaller aus dem Speisesaal hinaus.
»Recht so, dass denen jetzt mal ordentlich der Kopf gewaschen wurde!«, meint Helene Burgstaller.
»Stimmt schon, nur glaub ich, ist auch aus mit unsere Extrawürste! Müss ma gehen wahrscheinlich in Gruppentherapie. Glück ist nur, dass Schwimmbad gesperrt!«
»Na, Weiberheld war der ja keiner, der Friedmann«, beginnt die Burgstaller nun das eigentliche Thema in Angriff zu nehmen, »kann ich mir nicht vorstellen, dass bei dem auch nur eine der brünstigen Damen zu einer Notlandung angesetzt hätte. Das war doch der Glatzerte, der im Speisesaal immer allein und stocksteif beim Tisch neben dem Ficus gesessen ist und jeden Tag im See schwimmen war, bei jeder Temperatur, oder? Können Sie sich den auf einem nächtlichen Ausflug im Schwimmbad vorstellen? Nackt?«
Vorstellen hätte sich das die Djurkovic garantiert nicht können. Nur von »vorstellen« kann ja bei ihr nicht die Rede sein.
»Hören Sie auf, will ich nicht denken an so was. Pfui! Aber haben Sie recht, Friedmann hat gefunden Schwimmbad genauso grauslich wie wir, außerdem Friedmann und Weiberheld passt zusammen wie ausgezogene Apfelstrudel und Essiggurkerl.«
Die Burgstaller muss hellauf lachen, was die aus dem Speisesaal herausströmenden Patienten
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