Der Metzger geht fremd
ausführlich dem Drahtesel. Aufmerksam beginnt er, sein Gefährt zu studieren, langsam und vorsichtig, übt mit den Händen zu bremsen und testet sich durch alle einundzwanzig Gänge. Mit seiner aufgekrempelten Schnürlsamthose, seinem mittlerweile um die Hüfte gebundenen Jackett und seinem karierten Hemd böte er wohl so manchem ein recht skurriles Bild, vorausgesetzt, es käme da überhaupt jemand vorbei. Ausgestorben wie eine Fußgängerzone am Morgen eines 1. Jänner erscheint ihm diese Gegend.
Dann fährt er los.
Mit »leicht bergab« hat Frau Hackenberger recht gehabt. Und wie der Metzger nach der Abzweigung zum Kurhotel Sonnenhof ohne den geringsten Grad an Erschöpfung auf einer Forststraße durch dieses sagenhafte Waldgebiet radelt, stellt sich fast ein Zustand der Glückseligkeit ein. Die Vögel zwitschern, die Luft duftet frisch und würzig, die Sonne durchdringt mit ein paar Strahlen die dichten Bäume und malt leuchtende Streifen auf den Weg, der Wind rauscht über die Wipfel, und irgendein Tier balzt eifrig durchs Geäst.
Wie lange balzt so ein Viecherl eigentlich? Ob dieses Gejohle die erwünschte Wirkung hat?, grübelt er vor sich hin. Unterdessen ist dieser Balzruf zu einem veritablen Brüllen angewachsen, was den Metzger auf die blöde Idee bringt, dass, dem Klang nach zu schließen, der Tonerzeuger ja nicht unbedingt tierischer Natur sein muss. Und vorbei ist es mit der märchenhaften Idylle.
So blöd ist diese Idee allerdings gar nicht.
»Sind Sie Frau oder Lulu?«, schmettert die Djurkovic kichernd der Burgstaller entgegen. »Is doch nix kalt. Hat mindestens zwanzig Grad. Ist gut für Körper, bringt müde Knochen in Schwung und Spannung in faltige Haut, außerdem ist beste und billigste Behandlung für Haut wie Orange!«
Munter schwimmt die Djurkovic in der Rückenlage mit Blick zum Ufer langsam auf den See hinaus, einige Meter unter ihren Füßen verharrt unbeeindruckt ein Schwarm Rotfedern, und einige Meter vor ihren Augen verharrt beeindruckt Helene Burgstaller. Mit hochgezogenen Armen steht sie bis zum Saum ihres Badeanzugs im etwa siebzig Zentimeter tiefen Wasser, und bereits dieses lächerliche Stückchen hat sie größte Überwindung gekostet.
Unüberhörbare Überwindung. Abermals quietschend und hechelnd vollführt sie nun die nächsten Schritte, und wie ihr das Wasser über den Bauchnabel hinaufsteigt, geht ein markerschütternder Schrei über den See. Die Djurkovic wechselt blitzschnell in die Bauchlage und schwimmt zurück in Richtung ihrer Sonnenhof-Leidensgenossin. Die Burgstaller steht wie erstarrt im Wasser, ohne sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, und am Himmel verschwindet die Sonne hinter den aufziehenden Wolken.
»Haben Sie das gehört?«, ruft Helene Burgstaller der näher kommenden Danjela Djurkovic zu.
»Ja, ist gekommen drüben von Wald!«
»Das hat sich aber nicht gerade von Freude erfüllt angehört, oder?«
»Nein, war genauso wenig von Freude erfüllt wie von Getier aus Wald produziert!«
»Wie meinen Sie das?«
Mittlerweile hat die Djurkovic die Burgstaller erreicht. Beide stehen regungslos im Wasser, und beiden steht das regungslose Wasser bis zum Hals. »Na, hat geklungen wie Stimme von Frau, oder?«
Der Metzger schwenkt abermals gezielt den Lenker vom Schotterweg, diesmal nach rechts, wobei nun weniger der Verstand als vielmehr Neugier das Hirn leitet. Aus dieser Richtung muss der Schrei gekommen sein. Ein schmaler Weg führt in den Wald, und während er sich im leichtesten Gang abstrampelt, wie ein Pygmäe beim Quickstepp, wird der Wald immer dichter. Einige Äste streifen über sein Gesicht, immer wieder muss er kurz die Augen schließen. Dieses etwas längere Augenzwinkern reicht, und wie aus dem Nichts ist der Wald verschwunden. Vor seinem erstaunten Blick breitet sich einladend schimmernd ein See aus. Nicht einladend genug, denn der Metzger hat seine Reflexe meisterhaft im Griff, im wahrsten Sinn des Wortes. Anstandslos ziehen seine kräftigen Finger die Bremsen, und das Rad kommt mit dem Vorderreifen im Wasser zum Stehen. Etwa hundert Meter entfernt ragen zwei Köpfe aus dem Wasser.
»Wiiiiiiiiiillibald!«, dröhnt es freudvoll über den See, jeder grabende Maulwurf, jeder klopfende Buntspecht, jeder grundelnde Haubentaucher kann es hören.
Mit wuchtigen Kraularmzügen wälzt sich ein erregter Körper durchs nun nicht mehr regungslose Wasser. In den Herz-Schmerz-Filmen, die die Djurkovic so gerne sieht, würde sich jetzt der andere
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