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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Drücker aufgebrauchte und eingerollte leere Zahnpastatube;
    • gebrauchte Zahnseide, fein säuberlich in Toilettenpapier gewickelt;
    • eine zerdrückte, klein gemachte Plastikflasche.
    Das Djurkovic-Resümee: alles nicht wirklich auffällige Gegenstände in einem Abfalleimer außerhalb eines Feuchtraums – und dass Männer überall lieber Zähne putzen und Zahnseide durch ihre Zwischenräume jagen als im Bad, ist ja nichts Neues.
    Die Besonderheit liegt einzig in der bürokratischen Entsorgungsmethode des Mülls. Und genau diese Beseitigungspraxis bewirkt in weiterer Folge, auf die Zimmergesamtsituation bezogen, im so gründlichen weiblichen Wahrnehmungszentrum eine leichte Irritation.
    Das würde einem Mann gar nicht auffallen: Im Schlafzimmer und in dem unter dem Nachtkästchen angebotenen, etwas kleineren Mistkübel schaut die Welt nämlich etwas anders aus. Denn darin befinden sich ausschließlich Taschentücher und abermals Papier. Zerknüllt!
    Danjela Djurkovic streicht die Bögen glatt und ist selbst so gerührt wie offenbar der Verfasser beim Schreiben dieser Briefe. Aus Rührung könnte man schon einmal das exakte Papierzerreißen vergessen, noch dazu, wenn anscheinend etwas auf der Seele brennt und man nicht weiß, wie dieses Feuer zu Papier gebracht werden kann. Ein Briefumschlag und drei Bögen des hauseigenen Briefpapiers liegen vor der Danjela ausgebreitet auf dem flauschigen Kurzhaarwollteppich-Bettvorleger. Auf dem Kuvert steht in großen, geschwungenen Buchstaben: » Für Xaver«. Die Briefe weisen alle in etwa denselben Inhalt und eine ähnliche Länge auf:
    »Mein Sohn! Ich weiß nicht, wie ich nach all den Jahren anfangen soll. Dein Hass auf mich ist berechtigt. Es gäbe…«, dann Gekritzel.
    »Lieber Xaver! Ich kann Dinge nicht ungeschehen machen, so viel ist falsch gelaufen, wegen mir. Es tut mir so…«, dann, wie eine Schreibübung, willkürlich auf dem Zettel verteilt, das Wort » leid«.
    »Mein Sohn! Wo sind die Jahre hin? Was bin ich geworden? Was bist Du geworden? Ich bitte Dich nur, verzeih mir. Gönn mir noch ein paar Jahre mit…«, mehr nicht.
    Dann ein leises Klicken, hervorgerufen durch das Anlegen einer Schlüsselkarte, dann das Öffnen und das Zufallen der Zimmertür. Neben dem Bett am Boden kauernd, den Kopf in den Händen vergraben, wartet Danjela Djurkovic darauf, dass sich der kleine Wollteppich sanft vom Boden hebt und mit ihr durch das geschlossene Schlafzimmerfenster davonschwebt in Richtung Morgendämmerung.
    Das Einzige, was im Moment allerdings dämmert, ist der Djurkovic ihre Gewissheit, wer da gerade die 3.12 betreten hat, hervorgerufen durch ein heftiges Halskratzen.
    »Nur nicht husten«, geht es der Danjela konzentriert durch den Kopf.
    20
    S IE IST VERZWEIFELT , als sie ankommt. In seinem Gesicht steht die einzig bedeutsame Frage, und sie antwortet sofort: »Ich war es nicht, ich schwör es dir. Ich wollte es tun, aber ich konnte nicht!«
    Er erfährt, dass sie seit Tagen im Auto schläft, ganz in der Nähe der Kuranstalt.
    Wie schön sie ist, schöner als in seiner Erinnerung. Er kann nicht aufhören, sie anzustarren. Jetzt ist sie hier, steht leibhaftig vor ihm, mitten in seiner Wohnung.
    Dann umarmen sie sich, und es durchschneidet ihm den Atem. Dieses Leben hält ihn immer noch gefangen. Sie flüstert: »Ich wollte es tun. Er hätte es verdient, alles hat er zugelassen, alles. Aber ich war es nicht!«
    Aus dem Nebenraum dringt plötzlich ein unverständliches Lallen. Behutsam löst sie sich aus seiner Umarmung.
    »Wer ist das? Ist sie eine…?«
    »Ja, wenn man von ihrer Kleidung ausgeht, schon!«
    Nebenan liegt eine Frau, mit blassem Gesicht, halluzinierend und fiebernd. Über dem Fußteil ihres Bettes hängt, sorgsam gefaltet, eine Ordenstracht. Erschreckend sieht sie aus, völlig abgekämpft und ausgezehrt. Aus dem offenen Mund kommen stoßartige Laute, während ihr Körper immer wieder vom Fieber geschüttelt wird.
    Leise erzählter: »Sie ist plötzlich aus dem Wald gekommen und dann einfach auf der Straße zusammengebrochen. Alles war voller Blut. Ihr rechter Ringfinger fehlte, der muss ganz frisch abgetrennt worden sein. Die Zunge hat sie auch verloren, das liegt aber sicher schon einige Jahre zurück!«
    Die vielen Wunden ihres Körpers, hervorgerufen durch Äste und spitze Steine, sind perfekt versorgt, der Fingerstumpf vernäht.
    »Sie braucht viel Schlaf.«
    »Schrecklich«, sie hängt sich bei ihm ein, legt den Kopf auf seine Schulter und

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