Der Metzger geht fremd
nichts als seine Mobilnummer steht.
»Haben Sie nichts Wichtigeres zu erledigen?«
»Gewisse Dinge eilen nicht!«
Gewisse Dinge aber schon, wird dem Metzger nun qualvoll bewusst. Ohne stehen zu bleiben, meint er: »Ich sollte wohl eher mit dem Rad zur Kuranstalt fahren, Herr Friedmann, das schadet mir bestimmt nicht. Zurück würde ich aber natürlich sehr gerne zusteigen, sollten Sie wieder in der Nähe sein!«
»Kein Problem, einfach anrufen!«
Was für ein netter Kerl. Es folgen ein freundlicher Dank, eine freundliche gegenseitige Verabschiedung und ein beschleunigtes Anpeilen der Toilette am Gang. Selten zuvor, dass der Metzger sein Morgengeschäft derart sehnsuchtsvoll erwartet hat. Selten zuvor, dass er es dennoch nicht wirklich genießen konnte.
»Wenigstens ein Flachspülbecken«, geht es ihm hoffnungsvoll durch den Kopf. Behutsam erledigt er sein Geschäft, angestrengt in sich hinunterfühlend, auf den hinteren Bereich der Schüssel konzentriert. Dass da ja kein Teilchen der möglicherweise wertvollen Ladung über die Vorderkante in den Abfluss rutscht, verloren auf immer und ewig. Nach Absolvieren der ersten Etappe folgt zwar der gewohnte Griff zum Toilettenpapier, diesmal jedoch ausschließlich zur hygienischen Unterstützung des bevorstehenden operativen Eingriffs mit dem Hackenberger-Kaffeelöffel. Andächtig kniet der Metzger am Fliesenboden, hofft auf ein weißes Blitzen und seziert dieses undefinierbare Gemenge. Wie ein Fremdkörper kommt es ihm vor, obwohl er es mehr oder minder täglich selbst produziert.
Eines Tages hatte ihn seine Mutter beim Nachhausekommen gebeten, vor der Haustür den Kopf zu heben, ihm dabei sanft übers Haar gestreichelt und liebevoll gemeint: »Die Dinge, die uns am nächsten sind, betrachten wir selten genauer.« Der wunderschöne Engelskopf direkt über dem Eingang war ihm noch nie zuvor aufgefallen. Und jetzt kniet er vor seinem eigenen Haufen, und diese Geschichte fällt ihm ein. »Ganz schön abartig«, denkt sich der Metzger. Gewisse Rück- und Einblicke gewährt einem das Leben eben nur in Ausnahmesituationen. Ähnlich einer Perle im Schlamm glitzert ihm endlich die verschollene Hälfte seines Vorderzahns entgegen, und während er diese in mehrfacher Hinsicht äußerst erleichtert zu reinigen beginnt, kommt es zur unerwarteten Entdeckung:
Hinter dem Sockel der Toilette ragt das Eck eines Kuverts hervor, als wäre es auf den Spülkasten gelegt, von der Schwerkraft in den Abgrund gerissen und unbeabsichtigt dort vergessen worden. Auf der Vorderseite des leeren Umschlags steht in Blockbuchstaben: »F ÜR MEINEN S OHN «, auf der Rückseite ist deutlich eine Sonnenhof-Prägung zu erkennen.
»Jetzt weiß ich auch nicht unbedingt mehr über Herrn Friedmann«, denkt sich der Metzger vorschnell, wäscht vorsichtig seinen Zahn und gründlich seine Hände, wickelt den Zahn in Klopapier, steckt das Kuvert in die linke Brusttasche seines Jacketts und geht auf sein Zimmer.
Dinge, die aus scheinbarer Bedeutungslosigkeit irgendwo vergessen werden, können in anderen Händen zu Juwelen werden.
19
H ELENE B URGSTALLER FREUT SICH , beim Aufstehen war ihr Einzelbett immer noch unkeusch überladen. Und wie sich dann der stattliche Winfried mit einem süßen Kuss aus dem Zimmer geschlichen hat, ist ihr der absurd weibliche Gedanke gekommen: Das könnte Gutes verheißen.
Gertrude Leimböck dagegen freut sich, denn heute wird Ferdinand Anzböck sein blaues Wunder erleben und mächtig baden gehen.
Und Danjela Djurkovic freut sich, weil sie diesem wundervollen Morgen bereits gegenübergetreten ist, da war noch gar nicht die Sonne aufgegangen. Einmal mehr sind Neuigkeiten in Reichweite, einmal mehr wird sie diesen auf allen vieren begegnen.
Dieser abermalige Wissenshunger wurde am Vorabend mit unwiderstehlicher Kost gesteigert: Danjela Djurkovic stand, weil ja der Ruheraum im Wellnessbereich als nächtlicher Erholungsort entfiel, zu später Stunde auf dem Gemeinschaftsbalkon ihres Stockwerks. Vorerst allein, also ein Gemeinschaftsbalkon ohne Gemeinschaft, der als nicht vorhandene Nummer 13, also als plakative Demonstration irrationalen Aberglaubens, zwischen Zimmer 3.14, also ihrem Zimmer, und Zimmer 3.12 liegt. Diese trügerische Idylle währte nicht lange, denn gegen dreiundzwanzig Uhr stieß eine gewisse Frau Eisler dazu.
Ursache ihres Balkonbesuchs war ebenfalls Neugierde. Sie sei, sagte sie, von mittlerweile übermächtigen Umzugsambitionen erfüllt, habe die Aussicht von
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