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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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der Variation: »Ein wunderschöner Morgen, hab ich's Ihnen nicht gesagt!« kurz zuvor auch schon den Metzger begrüßt hat, der ihr, um der penetranten Nachfragerei schließlich ein Ende zu setzen, erläutern musste, was mit seinem Zahn passiert ist. Gar nicht fassen konnte sie es, die Hackenberger, dass ihr da in der Nacht vor lauter blitzenden Sternen das fehlende Blitzen im Metzger-Gebiss entgangen ist, wo sie doch so aufmerksam sei.
    Die Qualität ihrer Aufmerksamkeit stellt sie nun, abermals aus der Küche schreiend, unter Beweis: »Für Sie grünen Tee, Herr Friedberg, so wie immer, nicht?«
    »Friedmann!«
    »Wie bitte?«
    »Immer noch Friedmann – und grünen Tee, so wie immer!«
    »Also grünen Tee so wie immer. Gerne, Herr Friedberg!«
    Herr Friedmann schüttelt mit verdrehten Augen den Kopf.
    »Mit einem Sebastian Friedberg war ich übrigens in der Schule. War damals ein unguter Schüler und ist heute ein guter Arzt!«, versucht der Metzger das Gespräch aufzugreifen.
    »Dann werden aus guten Schülern wohl ungute Ärzte!«, erwidert Herr Friedmann.
    Erstaunt über die überraschend humoristische Ader seines Mitbewohners kontert der Metzger: »Ich kann mich nicht erinnern, dass es zu meiner Schulzeit so viele gute Schüler gegeben hätte.«
    Das Amüsement der beiden Herren währt nur kurz, denn die Hausherrin betritt den Raum: »So, da kommt Ihr grüner Tee! Soll ja ziemlich gesund sein, nicht? Und, meine Herren, was werden Sie heute machen, bei dem schönen Wetter? Wieder auf Besuch in die Kuranstalt hinunter, Herr Metzger? Und Sie, Herr Friedberg, sind Sie wieder den ganzen Tag unterwegs? Ist ja so schön die Gegend hier, nicht?«
    Dann erhält der wunderschöne Morgen schlagartig ein anderes Gesicht. Frau Hackenberger durchbricht die Stille, als wäre sie gerade aus einem Kartäuserorden ausgetreten. Sie redet unaufhörlich, während Willibald Adrian Metzger und sein Tischnachbar zusammengesunken vor sich hin kauen, erzählt von Familie Eifel, die hier so gern Urlaub macht und auch heuer wieder für drei Wochen kommt, während das vom Metzger bestellte weiche Ei erbarmungslos durchgekocht wird, erzählt vom einsamen Witwer Herrn Rubens, der die Pension als seine zweite Heimat bezeichnet, erzählt von ihrer Nichte Emma, die so fleißig studiert, sie erzählt, bis rettend die nächsten Opfer den Frühstücksraum betreten: »Ah, Herr und Frau Schaden! Was für ein wunderschöner Morgen, nicht?«
    Selten zuvor hat sich der Metzger an einer an und für sich hervorragenden Marillenmarmelade in so kurzer Zeit beinah bis zur Magenverstimmung satt gegessen. Nur die Verstimmung reicht ihm aber auch. Lästiger kann ein Tag nicht beginnen.
    »Sie haben ja gar nichts gegessen!«, stellt Frau Hackenberger fest, und der Metzger ist sich nun absolut sicher, während er garantiert zum letzen Mal eine Tasse der Pension Regina in Händen hält: Die Hausherrin hat hundertprozentig selbst nicht alle im Schrank. Dass zum Betreiben einer Frühstückspension dem Frühstückspensionsbetreiber im Grunde null diesbezügliche Hotelgewerbefachkompetenz samt entsprechend grundlegenden sozialen Umgangsformen abverlangt wird, erinnert den Metzger schwer an die Gepflogenheiten bei der Vergabe von Ministerposten.
    »Ihr Ei, Sie haben Ihr Ei vergessen!«
    »Sie haben mein Ei vergessen!«, wäre wieder die passende Antwort. Stattdessen wählt er die feine Klinge: »Danke, Frau Hackenberger, ich bin richtig satt!«
    »Warten Sie! Ich pack's Ihnen ein als Jause, Sie haben ja wirklich nichts gegessen. Da kann so ein stattlicher Mann doch nicht satt sein, nicht?«
    Dann wechseln mit den Worten: »Hier, für den kleinen Hunger unterwegs!« abgeschreckt ein hartes Ei, zwei Scheiben Schwarzbrot, irgendetwas in Stanniol Eingewickeltes und eine Papierserviette in einem durchsichtigen Plastiksackerl den Besitzer und verschwinden in der linken Jacketttasche, denn in die rechte hat sich bereits, zusätzlich zur dort archivierten Nagelzwicke, ein Hackenberger-Kaffeelöffel hineinverirrt.
    Im Stiegenaufgang ist hinter dem eilig flüchtenden Restaurator Herr Friedmann aufgetaucht. Und eilig hat es der Metzger allemal.
    »Ich bring Sie zur Kuranstalt!«
    »Das muss doch nicht sein!«, antwortet der Metzger höflich, aber kurz angebunden, und denkt sich: Zurückbringen wäre mir lieber!
    Als könne er Gedanken lesen, meint Herr Friedmann: »Ich hol Sie auch gerne wieder ab, rufen Sie einfach an!« und streckt ihm ein Zettelchen entgegen, auf dem

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