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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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schulterund geschlechtsorganlosen Restkörpers ist Frau Kirschner schließlich ohne Rücksicht auf das liegen gebliebene Handtuch splitternackt und schreiend ins Nirgendwo gelaufen – also durchs Schwimmbad, hinaus auf den Gang, am Empfang vorbei, vor die Tür und wieder zurück zum Empfang. Mit beiden Armen fuchtelnd: »Hilfe, Hilfe!« Es dauerte ziemlich lange, bis ihr außer diesem »Hilfe« noch das wesentliche Weshalb zu entlocken war.
    Immer wieder hysterisch aufschreiend, steht sie nun bestens betreut von allerlei Kuranstaltspersonal im Freien. Prof. Dr. Berthold betritt die Bühne des dramatischen Geschehens und erhebt, von der Mitte des Eingangsportals aus, blass, mit versteinerter Miene und überraschend gefasst, die Stimme: »Ich bitte Sie, Ruhe zu bewahren. In Kürze kommt die Polizei –  mhhhmh . –, rein routinemäßig. Was für eine entsetzliche Geschichte mit unserem lieben Herrn Anzböck, ein wirklich ganz schrecklicher Unfall!«
    Ein Raunen geht durch die Menge. Entsetzensrufe werden angestimmt – »Schrecklich!«, »So eine Tragik!«, »Um Himmels willen!« –, wobei sich irgendwo in der Menge aus dem Wirbel ein deutliches, durchwegs bekanntes »Oh Gott!« heraushebt. Sosehr sich die Danjela und der Willibald allerdings auch bemühen, der aufschlussreiche Blick über die Menge gelingt ihnen nicht. Die Gottesanbeterin bleibt gesichtslos.
    So wie Ferdinand Anzböck. Denn obwohl mit dessen Namensnennung durch Professor Berthold die Leiche im Haifischbecken ihr Gesicht bekommen hat, ist von diesem in Wahrheit nicht mehr viel zu sehen. Erkennen könnte den Anzböck keiner mehr.
    Nach Verklingen der allgemeinen Bestürzung fährt Professor Berthold fort: » Mhhhmh –  trotzdem, alle vorgesehenen Programme und Therapien werden selbstverständlich durchgeführt. Seien Sie nur so gut und halten Sie sich bitte auf dem Kurhotelgelände auf, bevorzugt im Zimmer-, Restaurant-, Eingangs- und Stegbereich, zumindest, bis ich von der Polizei grünes Licht bekommen habe. Ich werde mich natürlich dafür einsetzen, dass das alles schnell geht und Sie keine Unannehmlichkeiten haben –  mhhhmh . Wer heute heimdarf, möge sich bitte etwas gedulden, und natürlich müssen Sie die Zimmer nicht räumen. Wir werden Ihre Wartezeit so angenehm wie möglich gestalten. Das gilt auch für die Besucher. Sie sind für die Dauer des verpflichteten Aufenthalts unsere Gäste. Danke!«
    Nach seiner Rede geht er ab, und es folgt der nächste zu erwartende Auftritt des Volks: »Sind wir jetzt Gefangene?«, »Soll das heißen, wir werden verdächtigt?«, »Was heißt ›routinemäßig‹?«, »Das war sicher nur ein Unfall beim Fischefüttern!«, »Eher ein Reinfall zum Fischefüttern«, »Na, dann bleiben wir halt auf unseren Zimmern!« »Und mein Zimmer«, Frau Eisler ist zu hören, »kann ich jetzt trotzdem das Zimmer wechseln? Ich bekomm nämlich eines mit Seeblick!«
    »Ich würde jetzt gerne gehen«, stupst der Metzger die Djurkovic an. Übel ist ihm. Die größte Gefahr für den Menschen ist sein Egoismus.
    Dem Metzger wird klar, dass die Anweisung, nicht das Gelände zu verlassen, auch für ihn gilt. Es könnte ihm durchaus Schlimmeres passieren, als einen Tag gratis in einem feinen Hotel an der Seite seiner Danjela verbringen zu müssen, mit Haus- oder eigentlich Zimmerarrest. Außerdem hat er mit seiner Angebeteten etwas zu klären.
    Im Zimmer 3.14 angekommen, fragt ihn die Djurkovic: »Und, hast du gut geschlafen in Pension, meine Willibald? Kannst du bleiben jetzt bei mir vielleicht ganze Nacht, merkt niemand bei so viel Aufregung, weil musst du ja bald wieder zurück allein in Werkstatt.«
    »Sicher nicht!«
    »Was: sicher nicht?«
    »Ich hab sicher nicht gut geschlafen in dieser Pension, und ich fahr sicher nicht allein zurück.«
    »Musst du mir erklären.«
    »Keine Minute länger bleibst du hier allein, Danjela, trotz der wunderbaren Lage und des Luxus. Das ist mir viel zu gefährlich. Ich bin zwar sicher, dass die ganze Angelegenheit auf einen Unfall hinausläuft – und selbst wenn nicht, kann uns das auch ziemlich egal sein. Was mir allerdings nicht egal ist, ist die Gewissheit, mit der ich Folgendes behaupten kann: Madame Djurkovic wird hier garantiert alles tun, nur nicht die notwendige Ruhe geben. Du weißt, was ich meine!«
    Jetzt hat es der Djurkovic die Sprache verschlagen, denn mit so einem Beweis männlicher Führungsqualitäten hätte sie bei ihrem Willibald nicht gerechnet:

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