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Der Metzger holt den Teufel

Der Metzger holt den Teufel

Titel: Der Metzger holt den Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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vor dem Leben anderer.
    Nichts ist furchtbarer, als Eltern ein allerletztes Mal von ihren Kindern erzählen zu müssen. Zögerlich öffnet sich die Tür der Familie Schukow, die von nun an dazu verdammt ist, für den Rest ihrer Tage nur noch eine Frau und ein Herr Schukow sein zu müssen. Es folgt ein Zusammenbruch mehr, an dem Eduard Pospischill teilhaben muss, eine Schilderung des Unfassbaren mehr, die er über die Lippen zu bringen hat, eine gefühlte Ewigkeit des Schweigens mehr, die er aufgrund der fehlenden Worte des Trostes nicht beenden kann. Jeden, der in einem derartigen Fall Selbstjustiz übt, kann er verstehen.
    Eduard Pospischill klammert sich am Türrahmen fest. Schmerzhaft vermisst er seine Trixi, denn genau jetzt wäre es so leicht zu erklären, warum er sich nichts sehnlicher wünscht als eigene Kinder – und doch keine will. Es ist nichts als die blanke Angst, weil all das Böse, das Grauen und Verderben, dem er tagtäglich ins Gesicht zu blicken hat, eines Tages völlig ungefragt vor seiner Tür stehen könnte.Was den Metzger an diesem Abend ungefragt vor der Tür erwartet, ist zwar bei Weitem harmloser, ein höchst ungutes Gefühl löst es bei ihm aber dennoch aus. Da hat er noch die letzten paar Stufen hinauf zu seiner Mansardenwohnung vor sich, lacht es ihm bereits entgegen, das unerwartete Begrüßungskomitee. Gut, dass er sich aus Konditionsmangel bereits am Stiegengeländer festhält, denn was da fein säuberlich zusammengelegt am Fußabstreifer wartet, lässt ihm vor Überraschung die Knie weich werden: das Sakko des väterlichen Hochzeitsanzugs.
    Darauf gebettet die beängstigende Dreifaltigkeit aus Stofftaschentuch, Geldbörse und Schlüsselbund. Nichts angreifen, geht es dem Metzger sofort durch den Kopf, dann schließen sich gezwungenermaßen ein paar fragwürdige Gedanken an: Warum bringt ein Räuber seine Beute zurück, wo liegt da der Sinn? Wer sagt, dass, nur weil das Sakko vor der Tür liegt, der Überbringer nicht auch in der Wohnung war?
    Mit hellwachen Sinnen öffnet der Metzger die Eingangstür, vorsichtig schleicht er durch seine Räume und fühlt sich wie dazumal als kleiner Junge, wenn ihm die obligate frei erfundene Einschlafgeschichte nicht von seiner Mutter, sondern ausnahmsweise von seinem Vater erzählt wurde. Kaum war die Stimme des Erzeugers verklungen und die Tür des Kinderzimmers geschlossen, konnte von Schlafen nicht mehr die Rede sein. Ohne genehmigten Asylantrag waren sie plötzlich alle da, die Dämonen im Kleiderschrank. Dass Buben zwecks friedlichen Hineingleitens in eine gute Nacht nicht wie Mädchen von liebevollen Feen und schrulligen Kobolden, sondern von blutrünstigen Monstern und barbarischen Helden erzählt bekommen wollen, ist genau auf demselben Mist gewachsen,auf dem sich die dazu passenden Verbrechen der Spielzeugindustrie einzufinden hätten.
    Ähnlich wie einst im Kinderbettchen steht ihm auch jetzt der Schweiß auf der Stirn, dem Willibald, und schuld daran ist in gewisser Weise wieder der Mist, wenn auch nicht seiner. Da war wer am Klo, er könnte wetten. Es liegt zwar jeder Gegenstand an seiner Stelle, es wurde nicht herumgekramt, nichts durchwühlt und wahrscheinlich nichts gestohlen, trotzdem drängt sich dem heimkehrenden Restaurator eine quälende Frage auf: Ich mach doch genauso wie die Schlafzimmertür immer auch die Klotür zu, warum stehen jetzt beide offen? Jeder hat so seine Macken. Beim Willibald hat sich da mittlerweile eine kleine Zwangsneurose eingeschlichen, sowohl nachts als auch untertags. Wohn-, Schlaf- und Ausscheidungsbereiche gehören getrennt, aus Prinzip. Egal, wer da nach einer Bettbesichtigung die Tür vergessen hat, er selbst war es nicht, da ist er hundertprozentig sicher. Und Eduard Pospischill hat keinen Wohnungsschlüssel! Genau den muss er informieren.

    Es dauert nicht lange, und der vom gerade unabkömmlichen Kommissar geschickte Beamte betritt das Stiegenhaus.
    Herbert Homolka, das völlige Gegenteil dessen, was man sich unter einem Polizisten so vorstellt. Zart in seinem Erscheinungsbild, groß, schlaksig und wie zur Entschuldigung für seine Größe gebückt mit schwitzigen Händen.
    Große Verwunderung steht ihm ins Gesicht geschrieben: »Ihre Angst, es könnte jemand in der Wohnung gewesen sein, ist völlig normal. Aber beruhigen Sie sich, ichbin mir sicher, da war keiner. Es wurde weder herumgekramt noch etwas entwendet, und zwei offene Türen sind wirklich kein Grund zur Sorge! Sie waren sicher ganz in

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