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Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Sahlbruckner und bittet den Metzger vom Vorraum aus, durch die offene Tür einen Blick ins Wohnzimmer zu werfen. Ein großer Esstisch, eine Sitzecke, ein Kachelofen, daneben ein Einzelsofa, darauf Mutter und Tochter, beide mit geschlossenen Augen. Angela Sahlbruckners Oberschenkel ist freigelegt, mit Mullbinden eingewickelt, der Raum riecht nach Wunddesinfektionsmittel.
    »Ein glatter Durchschuss!«, flüstert ihm ihre Mutter zu, »Ich hab ihr ein starkes Schmerz- und ein Schlafmittel gegeben. Angela muss sich ausruhen. Es war sinnlos, sie hat nichts erzählt, nur geheult und Emma nicht mehr losgelassen. Irgendetwas Schreckliches muss sie drücken, passiert sein. Wir wissen es nicht.«
    »Was wissen Sie?«, fragt der Metzger leise. »Wissen Sie zum Beispiel, wo Ihre Tochter letzte Woche war?«
    »Ja, auf Geschäftsreise bei Weinhändlern in Südtirol«, erklärt Paul Sahlbruckner.
    »Sie war an der Adria, durchgehend, mit dem Mann, der im Keller liegt, Gustav Eichner«, entgegnet der Metzger kopfschüttelnd und will wissen: »Wer ist Darya?«, und löst Kopfschütteln auf der Gegenseite aus.
    »Ihre Tochter hat Darya, ein Mädchen im Säuglingsalter, bei sich gehabt, dieses Kind behandelt, als wäre es ihr eigenes, liebevoll gestillt, heute bei jemandem abgegeben und danach im Wagen bitterlich geweint. Jemand, der sie vielleicht für ihre Dienste bezahlt. Vielleicht bringt Angela, so schrecklich das ist, Babys ins Land, die dann illegal verkauft und adoptiert werden.«
    Hertha Sahlbruckner setzt sich auf die von bunten Kinderschuhen umgebene Vorzimmerbank, blass im Gesicht, zärtlich streicht ihr Paul Sahlbruckner über den Kopf.
    »Ihre Tochter hat vorhin zu Gustav Eichner gesagt, sie hätte doch alles, was von ihr verlangt worden wäre, gemacht. Das hört sich für mich an, als wäre sie erpresst worden. Warum hat Ihre Tochter Angst um Emma?«
    Betreten ist das Schweigen der beiden Sahlbruckners, irgendetwas scheint beide gleichermaßen zu beschäftigen.
    »Warum, glauben Sie, hat Gustav Eichner draußen im Hof zu Ihrer Tochter gesagt, sie hätte gewusst, auf was sie sich einlässt, hätte selbst davon profitiert. Wovon könnte ihre Tochter profitiert haben, was ist in Ihrer Familie passiert?«
    »Kommen Sie«, unterbricht ihn Paul Sahlbruckner und nickt seiner Frau zu. Nun darf er das Wohnzimmer betreten, der Metzger, darf sich dieser so harmonischen Einheit aus Mutter und Kind annähern, deren Brustkörbe sich langsam und friedlich heben, deren Gesichter wirken, als wären sie aus einem Guss.
    Wie schön, wie verträglich die Menschen werden, wenn sie schlafen, geht es ihm durch den Kopf, während die Hand Paul Sahlbruckners langsam das Hemdchen der kleinen Emma zu öffnen beginnt. Knopf für Knopf, Stück für Stück erschließt sich dem Metzger der Anblick eines von Menschenhand vollbrachten Kunstwerkes.
    Vom Schlüsselbein abwärts bis zum Bauch führt die Narbe, ohne die Emma nur noch in der Erinnerung der Menschen, die sie lieben, am Leben wäre.
    »Unsere Emma hat ein neues Herz«, flüstert Hertha Sahlbruckner und streicht ihrer Enkelin sanft die Haare aus dem Gesicht. Sosehr dem Metzger der Anblick dieses selig schlafenden Kindes auch zu Gemüte geht, so sehr erfüllt ihn der Gedanke an Darya nun mit Entsetzen, mit Grauen. Er muss hinaus, dreht sich um und läuft zurück in den Vorraum. Ohne zu wissen, öffnet er auf gut Glück die erstbeste Tür, stürmt zum Waschbecken der Küche und benetzt sein Gesicht mit kaltem Wasser, als wollte er sich selbst herausreißen aus dem Alptraum seiner Gedanken.
    Hinter ihm sind Angelas Eltern aufgetaucht.
    »Wie sind Sie an das Spenderherz gekommen?«, hört er sich fragen und sieht in den Augen der beiden so fürsorglichen Eltern dieselbe Bestürzung, wie sie auch ihm ins Gesicht geschrieben zu sein scheint.
    »Wir haben Angela nie danach gefragt«, flüstern sie, »es ging plötzlich alles so schnell.«
    »Haben Sie Gustav Eichner zuvor schon einmal gesehen?«
    »Ja, vor etwa einem Jahr, beim Sommerurlaub an der Adria«, antwortet Paul Sahlbruckner.
    »Vor der Operation?« will der Metzger wissen, und die Antwort entspricht seiner Befürchtung.
    Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr.

    Seine Augen sind offen, er weiß es, und doch ist es stockdunkel. Er liegt auf dem Rücken, nicht hart und nicht weich fühlt es sich an. Seine Hände, seine Beine, sein Kopf sind mit Gurten fixiert, sein Mund vollgestopft und verklebt. Schwer fällt es ihm zu atmen. Weit blähen sich seine

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