Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
Und Menschen erpressen macht dir, wie ich höre, besonders große Freude. Mir auch, Eichner, ich darf doch Gustav sagen. Ich zeig dir jetzt am besten, wie das mit dem Pressen geht und wie das dann so richtig Spaß macht.«
Ein schlagartig mit aller Wucht von unten wie ein Aufwärtshacken hinaufsausender Kolben beendet das bis dato im Eichnerschädel eingefrorene Dauergrinsen: »Reden wirst du, das garantier ich dir.«
Gott und der Teufel
Wenn Willibald Adrian Metzger während seiner Schulzeit die Liste der Unterrichtsfächer absteigend nach Beliebtheit hätte ordnen müssen, dann wäre die Geschichtstante Anna-Maria Neubauer ganz unten gestanden. Gelernt hat er bei ihr nichts, außer die aus der Biologie stammende Einsicht, dass der Wiederkäuer nicht zwangsweise nur ein Rindviech sein muss. Völlig unabhängig vom Lehrplan blieb Anna-Maria Neubauer nämlich jahrein, jahraus ihrem Spezialgebiet treu: dem Mittelalter. Landschaftlich glich dieses Spezialgebiet einer einsamen Insel im weiten Ozean, denn bei jedem anderen Thema kam Madame Neubauer dermaßen ins Rudern, Angst hatte man vor ihrem Untergang. So wurde das Jahr zugepflastert mit Arbeitsblättern da, Dokumentationsfilmen dort, und vor allem Exkursionen. Einen Ort hat der Metzger in seiner Stadt also besonders gut kennengelernt: das Foltermuseum.
Und sooft er auch dort war, an ein Exponat kann er sich beim besten Willen nicht erinnern: an die Weinpresse.
Durch Mark und Bein geht der in jede Ecke des Kellers vordringende Schrei.
Paul Sahlbruckner musste keinen Einführungskurs abhalten, um die Handhabung dieses historischen Prunkstücks zu ermöglichen. Die simple Funktionsweise erklärt sich von selbst. Ein wie ein Brunnen aufgebauter Rahmen, oben ein stabiler Holzbalken, darin eine nach unten herausschraubbare Spindel, darunter ein Fass. Nicht, dass Heinzjürgen Schulze dieses Fass nun weggenommen hätte, umgedreht hat er es. Und nicht, dass er sich nur der Hand des kurzfristig bewusstlosen Eichners bedient hätte, den ganzen Oberkörper hat er daraufgelegt, kreuzhohl, und dazwischen eine dicke Holzplatte eingespannt.
»Schmerzen, Gustav?«, dröhnt es durch den Keller. »Nur bis ich dir das gleiche Kopfweh bereite wie du uns, darf ich schon noch ein bisschen schrauben, denk ich. Und ich kann dich beruhigen, wenn es dann mal krachen sollte: Die ersten angeknacksten Rippen sind noch kein Todesurteil.«
Und wieder ein Schrei. Heinzjürgen Schulze, eine Flasche Wein in der Hand, lässt sich trotz der hinter Gittern vernehmbaren heftigen Einwände nicht davon abhalten, aus Gustav Eichner, so wie er angekündigt hatte, die Wahrheit herauspressen zu wollen.
Es reichen nur minimale Drehbewegungen, um die Spindel ein Stück hinunter- und die bereits für alle hörbare und ersichtliche Unerträglichkeit der Schmerzen noch ein Stück hinaufzuschrauben. Das aus Gustav Eichners zerschossenem Rücken austretende Blut sucht sich über den Rand des polierten Fasses seinen Weg abwärts. Schwer geht der Atem des Gepeinigten, weit in den Nacken genommen ist sein Kopf, aufgerissen sein Mund: »Ich, ich …!«, beginnt er.
»… habe Durst, willst du sagen?«, unterbricht ihn Schulze. »Kein Problem!«, und gießt ihm Wein über das Gesicht, hinein in den Rachen, die Nasenlöcher, die Augenhöhlen. Gurgelnd beutelt Eichner den Kopf, krampfhaft stemmen sich seine Fersen in den Boden, bäumt sich sein Unterleib auf.
»Aufhören, verdammt!«, brüllt Willibald Adrian Metzger. Tränen drückt es ihm im Angesicht dieses Grauens, dieser Erbarmungslosigkeit in die Augen, unvorstellbar, dass sich Menschen, so wie Anna-Maria Neubauer in schauriger Ausführlichkeit zu erzählen pflegte, aus lauter Schaulust in Massen um ein Podest versammelten und Freude empfinden konnten, wenn Scheiterhaufen entzündet, Häupter abgetrennt, Leiber durchbohrt wurden.
Wenn er ein Kind Gottes sein soll, der Mensch, dann sind Gott und Teufel ein und dasselbe.
»Warum soll ich Gnade vor Recht ergehen lassen, gib mir einen Grund, erweckst du uns die Toten wieder zum Leben?«, nimmt Schulze nun selbst einen kräftigen Schluck, stellt die Flasche ab und umfasst fest mit beiden Händen die Holzgriffe der Spindel. »Und jetzt red, sonst wird es gleich gewaltig eng für dich.«
Den Kopf zur Seite gedreht, tropft Wein und Speichel aus dem Mund Gustav Eichners, jeder seiner Atemzüge ist mit einem rasselnden Geräusch, einem schmerzhaften Stöhnen verbunden.
Gustav Eichner weint.
Es ist die Not des
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