Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
Nasenflügel auf, um mehr Luft einströmen zu lassen. Ihm ist übel, seinen Drang, sich zu übergeben, muss er unterdrücken, es wäre wohl sein Todesurteil. Schwer sind seine Gliedmaßen, schwer geht sein Atem, schwer ist sein Kopf, schwer zu begreifen die ihn umgebende Stille. Als läge er in einem Sarg, so dumpf fühlen sich nach der Betäubung seine Ohren an, und doch hat er das Gefühl, der Raum wäre weit.
Er versucht zu summen, hohl klingt es, leer, hart. Es fehlt ihm jeder Zeitbegriff, er weiß nicht, wie lang er benommen gewesen ist, er weiß nur, es war ein angenehmes Wegdriften, ein Versinken, ein Einswerden mit der Rückbank des Wagens, ein Zustand der Befreiung.
Jedenfalls wurde er übersiedelt, das steht fest. Eine leichte Schärfe liegt in der Luft, kalt ist es. Er versucht, mit dem rechten den linken Fuß zu erreichen. Es gelingt. Nackte Haut bekommt er zu spüren, seine Haut.
Es kostet ihn große Überwindung, sich wach zu halten, nicht erneut im Schlaf die einzige ihm verbliebene Freiheit zu suchen.
Aus großer Entfernung sind Schritte zu hören, eine schmale helle Linie zuckt in der Dunkelheit, dann bleibt sie flimmernd. Stimmen mischen sich dazu, metallische Geräusche, alles kommt näher. Es surrt, aus dem schmalen, leuchtenden Strich wird ein sich seitlich aufschiebendes rechteckiges Leuchten, ein Türspalt, wird eine offene Tür, voll dunkler Schatten, Gestalten.
Dann schreit er dumpf in sich hinein. Schmerzhaft blendet ihn ein plötzlich alles aufhellendes, gleißendes Licht von oben. Laut wird es: »Verdammt, der ist wach! Wieso ist der wach?«
Dann ein Stich, und wieder dieses angenehme Wegdriften, Versinken, Einswerden mit sich, dem Universum, der Stille …
Und wieder wird er eingesperrt, der Metzger, das räumliche Umfeld ist zwar dasselbe, die Zusammensetzung der Inhaftierten hat sich allerdings ein wenig verändert.
Paul Sahlbruckner war unmittelbar nach der so entsetzlichen, in der Küche erörterten Möglichkeit mit dem Gewehr in der Hand vorangestürmt, klar in seiner Absicht, hat den Keller betreten, das Gitter aufgeschlossen und Gustav Eichner den Lauf seiner Flinte an die Brust gesetzt.
Willibald Adrian Metzger schilderte Heinzjürgen Schulze und Petar Wollnar das eben Erlebte, während sich Paul Sahlbruckner am schweigsam grinsenden Bollwerk Gustav Eichner die Zähne ausbiss.
»Jetzt red, uns läuft die Zeit davon!«
Nur vergeblich. Paul Sahlbruckner kann sich zwar treffsicher Enten vornehmen und diese herrlich zubereiten, aber mit Menschen sieht es anders aus.
Für Heinzjürgen Schulze allerdings schien das Stichwort gefallen zu sein, Zeit nachzudenken hatte er nun ja genug. Es war kein langer Augenkontakt, den er da im Hintergrund zu Willibald Adrian Metzger herstellte, dafür ein umso eindringlicherer, einer, der zwar sein Gegenüber ansieht, aber in Wahrheit im Geiste die Vorpremiere der demnächst eintretenden Zukunft betrachtet.
Und Willibald Adrian Metzger wäre froh gewesen, einen kurzen Blick auf diesen düsteren, im Schulzehirn ablaufenden Film werfen zu dürfen, es wäre ihm vielleicht möglich geworden, die mit Heinzjürgens Worten: »Darf ich?« eingeleitete Zukunft zu beeinflussen.
So aber wird er nur Teil eines fassungslosen Publikums, gelähmt vor Entsetzen. Ohne sich die Frage »Darf ich?« von Paul Sahlbruckner beantworten zu lassen, reißt Heinzjürgen Schulze die Waffe an sich, drängt den Hausherrn zur Seite und wendet sich Gustav Eichner zu.
»Also gut, du willst hier also der Held sein. Kein Problem. Dann gehen wir.« Auffordernd deutet er auf das geöffnete Gitter, und sicher, so ein vielleicht möglicher Schritt in die Freiheit ist auch trotz geladener Waffe eine unwiderstehliche Einladung. So müht sich Gustav Eichner also hoch und schleppt sich gewiss unter heftigen Schmerzen aus dem Gewölbe hinaus in den wunderschönen Verkostungsraum mit seinen polierten Fässern. Allen andern aber wird dieses Vergnügen nicht gewährt. Einzig schauen dürfen sie. Und nichts von dem wird der Metzger je vergessen können.
»Ihr müsst noch warten!«, knallt Schulze das Gitter ins Schloss, und keines der aus dem Kämmerchen an ihn gerichteten Worte des Zorns dringt bis zu ihm durch.
»Und jetzt? Gehen wir spazieren?«, scheinen bei Gustav Eichner in Anbetracht des näher gekommenen Ausgangs die Kräfte zurückzukehren.
»Du willst also nicht reden, Eichner, seh ich das recht. Du willst aber mit Leben handeln, es nach Belieben ausradieren dürfen.
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