Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
kleiner, hilfloser Säugling vom warmen Busen und pochenden Herzen der Schwester Marianne in die feuchten Hände und an das verschwitzte Hemd des Willibald wechseln muss.
Unbändig vor Verzweiflung ist das den Wagen erfüllende Schreien.
Tod und Auferstehung
Draußen zieht die Nacht vorbei.
Ergriffen blickt der Metzger, Heinzjürgen Schulze neben, Petar Wollnar und den mittlerweile schlafenden Gustav Eichner hinter sich, auf das Kind in seinen Armen. Immer wieder kurz aufschluchzend, saugt die Kleine an dem Fläschchen.
Still ist es im Wagen.
Leise beginnt er zu summen, sieht seine längst verstorbene Mutter in Gedanken neben sich am Bett sitzen, spürt ihre Hand auf seiner Stirn, und jedes Wort, jeder Ton ihres Gesanges ist wieder da, als wäre er nie fort gewesen. Wie liebevoll ins Ohr geflüstert, so hört er ihre Stimme:
»Es ist schon spät, und draußen scheint, als hätt die Welt sich still vereint, ein Meer voll Lichtern.
Und die Nacht legt klar und rein, einen friedlich stillen Schein, in die Gesichter.
Es lächeln aus den Sternscharen all die, die einmal mit uns waren, mit sanfter Güte,
und aus dem weichen Erdentor steigt warm Geborgenheit empor, wie ein Blüte.
Aus dem Himmel senken sich, wie bunte Schleier ewiglich, die Träume nieder.
Das tiefste Sehnen ist nun wach, und malt Bilder tausendfach, auf unsre Lider.
Wie ist die Welt doch wunderschön, wenn alle Menschen schlafen gehn, ein stiller Garten,
wenn alles staunend innehält, wehrlos der guten Nacht verfällt, muss Eifer warten.
Warum kann nicht bei Tageslicht die Eitelkeit, die uns zerbricht, einfach verschwinden,
so wie im Schutz der Dunkelheit das Leben sich vom Zwang befreit, um sich zu finden.
Gott behüte diese Welt, dass sie durch uns nicht ganz zerfällt am nächsten Morgen,
wenn alles irgendwann erwacht, schenk uns am Tag ein wenig Nacht, und keine Sorgen.
Lass uns den Kummer und den Groll, der den Tag verdunkeln soll, nicht länger sehen,
dass wir im Herzen wie ein Kind, mit allen, die uns nahe sind, in Frieden schlafen gehen.«
Diese Welt steht nicht unter Gottes Schutz, das weiß Willibald Adrian Metzger, erwachsen geworden, wie er ist, mittlerweile allzu gut. Wenn es je so etwas wie eine Güte Gottes gegeben haben soll, dann wurde sie längst ausradiert von der Erbarmungslosigkeit des Menschen. Die Nacht ist noch nicht zu Ende.
Angela Sahlbruckner wird in Anbetracht des von ihrem Vater im Weinkeller vernommenen Geständnisses gesprächig, und der am Steuer des A7 sitzende Heinzjürgen Schulze, da ist im Kopf des Willibald das Gutenachtliedchen seiner Mutter erst verklungen, von Paul Sahlbruckner informiert.
Gustav Eichner wird kurz darauf akribisch von Heinzjürgen Schulze im Hinterzimmer einer zurzeit wegen Urlaubs gesperrten Praxis weiter verhört.
Eine Praxis, die der dazugehörige, dem Kriminalbeamten Josef Krainer aufgrund einiger zufälliger Begegnungen im Rotlichtmilieu zutiefst verpflichtete, verehelichte Tierarzt innerhalb kürzester Zeit öffnen und für die Zeit seiner Abwesenheit ohne Wenn und Aber zur Verfügung gestellt hat.
Primarius Dr. Helmut Lorenz hat man, so wie alle anderen auch, nach den Befragungen im Spital heimgehen, allerdings als Einzigen nicht zu Hause ankommen lassen. Stattdessen darf er den urlaubenden Tierarzt vertreten, mehrmals versichern, er kenne den Verletzten nicht, dabei lokale Betäubungen spritzen, Schrotkugeln entfernen, die von der Natur nicht vorgesehenen Körperöffnungen vernähen, Rippenbrüche versorgen und sich dabei von Heinzjürgen Schulze erklären lassen, wie Gustav Eichner überhaupt zu all seinen schweren Verletzungen gekommen ist.
Und er zeigte Mitgefühl, der Herr Primar: »Entsetzlich, dieser Kerl!«, »Was für ein Verbrecher!«, »Toll, das Einschreiten dieses alten Sahlbruckner!«, »Das muss man ehrlich sagen, ohne Ihre Folter hätte dieses Untier vielleicht gar nichts gestanden! Was hat er eigentlich gestanden?«
Dieses Mitgefühl schwenkt schlagartig in Selbstmitleid um, nachdem Dr. Lorenz unterbreitet wird, er sei heute bereits vor seiner Gemeindebau-Praxis mit genau der Tochter des ach so tollen alten Sahlbruckner gesehen worden. »Was haben Sie jetzt vor?«, stammelt er.
Endgültig zum Schweigen bringen den Herrn Primar dann das Erscheinen des mit Unterlagen bepackten Kriminalbeamten Josef Krainer und die Information, in der auf den Kopf gestellten besagten Gemeindebau-Praxis sei gerade eine ausreichende Zahl an Krankenakten ans Tageslicht
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