Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
geschehen hat, steht bereits fest.
Es ist ein ähnliches Bild, dem Willibald Adrian Metzger und Heinzjürgen Schulze im zweiten Stock nach Öffnen der Lifttür ins Auge blicken. Offensichtlich war im ganzen Haus derselbe Innenausstatter am Werk, und wahrscheinlich reicht hier zwecks Zimmerreservierung nicht einmal die beste private Krankenversicherung.
Ruhig ist es zu dieser vorgerückten Stunde in der Säuglings- und Kinderstation, leer ist der mit reduziertem Licht beleuchtete Gang, unbesetzt ist das Empfangspult.
Die Beschriftungen weisen problemlos den Weg, wer hier um diese Uhrzeit mit krimineller Absicht einmarschiert, kann in aller Gemächlichkeit sein nächtliches Tagewerk verrichten. Durch eine langgezogene Glasscheibe lässt sich von außen ein Blick in den angepeilten Raum werfen, was weitere Mühe erspart, denn Willibald Adrian Metzger wird auf Anhieb fündig, nickt und deutet seinem Hintermann. Der zögert keine Sekunde.
Vorsichtig öffnet Heinzjürgen Schulze die Tür der Säuglings- und im Grunde Überwachungsstation. Die hohe Zahl vorhandener Brutkästen und technischer Gerätschaften hat beim ersten Anblick keine sonderlich beruhigende Wirkung. Anders der Ton der beiden vor einem Schreibtisch sitzenden Krankenschwestern.
»Was darf ich für Sie tun?« Freundlich und leise ist die Stimme der einen.
Besuchszeiten gibt es keine, hier untergebrachte Kinder brauchen so oft wie möglich die Nähe ihrer Eltern, vorausgesetzt, sie haben noch welche. Entsprechend steht den zwei jungen Kinderschwestern keine Verwunderung ins Gesicht geschrieben. Das ändert sich nun schlagartig.
»Wir würden gerne dieses Kind holen«, kommt Heinzjürgen Schulze auch im Wissen um den unten im Wagen schwer gezeichneten Gustav Eichner gleich zur Sache und tritt vor das entsprechende Bettchen.
»Wie: holen?«, gefriert das Lächeln der beiden.
»So«, erwidert Schulze, dabei zückt er, wie schon öfter an diesem Abend, seine Waffe. »Wie heißen Sie beide?«
»Schwester Selina«, »Schwester Marianne«, kommt es mit tonlos gewordenen, angsterfüllten Stimmen zurück.
»Sie müssen keine Angst haben. Ich stecke die Pistole jetzt wieder in meine Jacke, halte sie aber weiter in der Hand. Sie ziehen die Kleine an, machen sie abreisefertig, packen ihr ausreichend Verpflegung und Windeln in eine Tasche und begleiten uns dann in aller Ruhe. Sie, Schwester Marianne, tragen das Kind bitte bis zum Wagen. Ich bin sicher, sollten wir unterwegs gefragt werden, Sie werden äußerst glaubwürdige Erklärungen finden, aber ich geh ohnedies davon aus, Sie kennen einen anderen Weg hinaus als den Haupteingang. Wenn Sie das gut machen, dürfen Sie im Anschluss wieder zurück ins Spital, wenn Sie das nicht gut machen, dürfen Sie zu uns in den Wagen steigen, und der kleine Ausflug geht für Sie weiter. Alles klar?«
Schwester Selina und Schwester Marianne nicken.
»Fein, dann machen wir uns an die Arbeit.«
Es muss eine Schleuse geben, durch die das Leben aus dem Universum herab auf die Erde plumpst und die sich im Lauf der Kindheit langsam wieder verschließt. Vielleicht ist ja die erste Trotzphase nichts anderes als der Ausdruck der im Unterbewussten wahrgenommenen Abtrennung von dieser himmlischen Nabelschnur, sozusagen der Verlustschmerz.
Bis dahin nämlich scheint es, als würden die neuen Erdenbürger ein fast göttliches Gespür haben für die im Raum vorherrschenden Schwingungen und diese Schwingungen mit der ihnen gegebenen Sprachfähigkeit übersetzen. Glucksen, gurren, blubbern, mit Dada, Gaga und Baba die Welt deuten, mehr ist dazu im Grunde ja auch nicht nötig, schlafen oder eben brüllen.
Denn kaum hat Schulze seine Ausführungen beendet, beginnen gleich zwei der Babys mit ihren verzweifelten Gesängen Alarm zu schlagen. Und so, wie die Natur es vorgesehen hat: Es stresst gewaltig, duldet kein Überhörtwerden.
»Schneller!«, zischt Schulze.
»Aber die Kinder …«, ist die Erwiderung.
»… weinen jetzt eben, verdammt, es wird nicht das erste und letzte Mal sein. Wir verzichten auf die Windeln, das Futter, schnappen Sie sich ein paar fertige Fläschchen, wickeln Sie die Kleine in eine Decke, wir gehen, sofort!«
Und während sich der Lärm von Bettchen zu Bettchen bis hinaus auf die ganze Station ausbreitet, wird andernorts die Feuertreppe hinuntergestürmt und ohne weitere Komplikationen der Wagen erreicht: Gustav Eichner lebt, Petar Wollnar ist wach, alles ist gut.
Zumindest bis zu jenem Zeitpunkt, an dem ein
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