Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
Spenderherz kein Weiterleben in Aussicht gestellt werden konnte, bot ihr Eichner mit dem Argument, Kontakte zu haben, Hilfe an, günstig und prompt. Als Gegengeschäft für die nötige, rasch durchgeführte Transplantation verlangte Eichner von Angela Sahlbruckner, unter dem Deckmantel der absoluten Geheimhaltung für eine Organisation als Amme tätig zu sein, um des Lebens ihrer Tochter willen, so fügte Eichner hinzu.
Angela Sahlbruckner beendete zwar die Beziehung, verstand aber die Drohung, tat, was man von ihr verlangte, und hatte sich angesichts des Glücks ihrer am Leben gebliebenen kleinen Emma anfangs nie die Frage stellen wollen, woher die Kinder, die sie aus Transportgründen an ihre Brust legen musste, kommen und warum sie wem übergeben werden sollen, ihr reichte die Erklärung, es gehe um Adoptionen. Mehrmals kam sie seither zum Einsatz, manchmal mit anderen Begleitern als Gustav Eichner und an jeweils anderen Orten. Kinder, die, so wurde ihr zugesichert, so rasch wie möglich in gute Hände gelegt werden würden.
Jedes Mal hat sie die Kinder also aus der Hand stillender, zumeist weinender Frauen übernommen und an unterschiedlichsten Zielen im deutschsprachigen Raum zumeist abermals weinenden, vor prunkvollen Bauten stehenden Frauen und Männern übergeben. Hinterfragt hat sie es nicht, bis zum letzten Kind, Darya.
Denn ab dem Zeitpunkt, an dem die Kleine vor der Gemeindebau-Praxis des Dr. Lorenz von ihrer Vaterfigur Noah getrennt wurde, kamen in ihr Zweifel auf. Mit der Übergabe in der Villa des Dr. Maier aber wusste sie dann Bescheid: Dr. Maier war nicht anwesend, nur seine Frau Maria. Wie ein Juwel nahm ihr die junge Frau das Kind aus der Hand, und während Angela wieder gehen musste, hörte sie Maria Maier die Worte: »Ich wollte dich einfach sehen!« sprechen, sah sie in Tränen ausbrechen, sah, wie sie die kleine Darya an ihren Körper drückte, ihr zärtlich über den Kopf streichelte: »Ich dank dir so, mein Kleines, so unendlich!« zuflüsterte, sah, wie sie das Kind mit den Worten »Du hast ein gutes Herz!« auf die Stirn küsste, sah, da war Angela Sahlbruckner schon bei der Tür, im Stiegenhaus eine Krankenschwester herunterkommen, ein Kind im Arm, ein Baby mit blassem Gesicht, Schläuche in den Nasenlöchern. Angela Sahlbruckner begann zu laufen, zu bekannt war ihr dieser Anblick, zu erschütternd die Einsicht.
Kurz vor halb drei Uhr nachts klappt Gustav Eichner, gestützt von einem Arzt, nun endgültig zusammen und Willibald Adrian Metzger andernorts in aller Eile etwas auseinander.
Bleibt ihm auch gar nichts anderes übrig. Heinzjürgen Schulze war vor zwei Stunden samt Audi A7 und Schwerverletztem sofort weitergefahren, Petar Wollnars Pritschenwagen steht nach wie vor geparkt vor der Maiervilla, und weder Danjela noch Dolly ist mobil. Agil sind sie allerdings schon.
Nicht nur weil der erschütternde telefonische Zwischenbericht des Heinzjürgen Schulze niemanden zur Ruhe kommen lässt, sondern weil für Danjela und vor allem Dolly nur noch eines Bedeutung hat. Das ihnen vor zwei Stunden in die Hände gelegte schlafende Kind: Darya.
Selig war man da, vor allem Dolly. Damit ist es nun, genauso wie mit dem friedlichen Schlaf der Kleinen, vorbei.
»Brauchen wir dringend Flasche und Schnuller und Windeln und Babymilchpulver. Fährst du zu Heilige Barbara, aber dalli. Und können wir nix warten auf Taxi, nimmst du gefälligst Geburtstagsgeschenk!«, lautete der auf Anhieb erteilte Befehl.
Und so strampelt der wuchtige Metzger auf dem kleinen Klapprad nun hochtourig durch die Stadt zur Heiligen Barbara, der nächstgelegenen Apotheke mit Nachtdienst. Verzweifelt ist er, auch darüber, mit Gang Nummer sieben bereits die schwerste aller angebotenen Übersetzungen gewählt zu haben und trotzdem kaum schneller zu werden.
Für die emotionale Tragweite des am heutigen Tage Erlebt- und Gehörten braucht er allerdings keine Übersetzung, die Grausamkeit des Menschen ist eine allerorts auf Anhieb verständliche Sprache, und doch fehlen dem Metzger die Worte. Kein noch so abscheuliches Ereignis kann ein Geschöpf sich ausmalen, ohne dafür ein reales Abbild zu finden. Und wie er da vorbeiradelt an all den Auslagen, Geschäften, den Warenhäusern, fällt es ihm schwer, in den Dingen, die es an jeder Ecke zu kaufen gibt, nicht auch einen kleinen Teil der ihm am heutigen Tag vor Augen geführten Erbarmungslosigkeit zu sehen. Was im Weinkeller für Gustav Eichner gegolten hat, gilt überall:
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