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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Verkehrsteilnehmer. Ein Führerschein bedeutet in jungen Jahren die Freiheit überall hin zu können, später die Pflicht überall hin zu dürfen, und am Ende den Fluch überall hin zu wollen, in Wahrheit gar nicht mehr zu können und vom Sicherheitsstandpunkt schon überhaupt nicht mehr zu dürfen. Führerscheinbesitzer sind meist Führerscheinbesitzer bis in den Tod, sei es auch der Tod der anderen.
    In diesem Fall ist jedoch eindeutig der Wollnar der Unfallverursacher oder eigentlich dem Metzger sein wippendes Knie, und genau diese Gewissheit über die Schuldfrage gibt der Herr am Stock den beiden in der Fahrerkabine des Pritschenwagens, einen Stock höher, nun ausdrucksstark zu verstehen. Es ist weitaus angenehmer, so von unten herauf eine berechtigte Kritik entgegenzunehmen als von oben herab. Und weil der Wollnar ein friedfertiger und schuldbewusster Mensch ist, pflichtet er ausschließlich nickend den Äußerungen „Lernen S’ mal fahren, haben S’ sicher gerade mit dem Handy telefoniert, jetzt fahr ich 58 Jahre schon unfallfrei und dann so was, wenn das meine Esther noch erlebt hätte …“ bei, trotz der rhythmischen Untermalung des Stockes auf Petar Wollnars Motorhaube, gibt Versicherungsnummer samt persönlichen Daten bekannt und wartet geduldig.
    Geduldig warten und zustimmend kopfnicken ist ganz schlecht in Gegenwart einer begründeten Rüge. Da kann sich die Rüge nämlich gar nicht recht entfalten, und eine Rüge, die sich nicht entfalten kann, weil der Gescholtene demutsvoll eingesteht, schlägt schlagartig, bei Menschen mit einer gesunden Psychohygiene, in Mitleid um.
    So auch bei Herrn Zadrolevsky.
    „Übrigens, gestatten, Edgar Zadrolevsky!“, tönt es nun deutlich freundlicher von unten zur Fahrerkabine herauf, „ist ja im Grunde nur ein Blechschaden, gelt!“
    Petar Wollnar schaut etwas verwundert rüber zum Metzger, der nun wieder genauso starr die Windschutzscheibe fixiert wie vor dem Zusammenprall.
    „Machen wir das so, ich geb Ihnen mein Karterl, rufen S’ mich an, der Sohn vom Neffen meiner Esther, Gott hab sie selig, ist Automechaniker, der macht mir das sicher sehr günstig, nur Materialkosten, und dann brauchen wir keine Versicherung.“
    Nach einer kurzen Pause setzt er beinah tröstend fort:
    „Jetzt machen S’ nicht so ein G’sicht da oben, soll ja nichts Schlimmeres passieren. Ist ja nur die Stoßstange. Wünschen wir uns eine gute Fahrt, und wenn Sie mal was brauchen, könnte ich mir ja durchaus vorstellen“, dabei schaut er ein wenig von oben herab, das geht auch von unten herauf, und setzt fort: „Rufen Sie an, ja!“
    Der Wollnar hat im Prinzip noch kein Wort gesagt, außer sehr langsam und stockend vorhin seine Angaben, und der Metzger, der hat noch gar nichts gesagt, was wieder eindrucksvoll beweist, verbale Kommunikation ist für die Jetti-Tant, vor allem, wenn es um Diplomatie geht.
    Dankbar nickend, da könnte sich manch ein mit Trinkgeld überversorgter Kellner kräftig was abschauen, gibt der Wollnar nach einem prüfenden Blick auf das Visitenkarterl dieses direkt an den Willibald weiter, wahrscheinlich aus Hoffnung, dass allein die Berufsbezeichnung des Pensionisten Edgar Zadrolevsky, „Herrenausstatter & Maßschneider“, bei seinem erbärmlich aussehenden Sitznachbarn optisch von Nutzen sein könnte. Während der Stock seinen eleganten Herrn wieder sicher zum Auto zurückgeleitet, dämmert es dem Wollnar, der direkt vom Stiegenhauswischen ins Spital gefahren ist, mit „ … und wenn Sie mal was brauchen, könnte ich mir ja durchaus vorstellen, rufen Sie an, ja!“ war bestimmt nicht der Metzger gemeint.
    Geduldig wartet der Wollnar, bis der durch eine demolierte Stoßstange entwürdigte Mercedes seinen Lenker wieder zurückhat, während Willibald Adrian Metzger seinen starren Blick nun auf die Visitenkarte richtet und leise das darauf gedruckte „Herrenausstatter & Maßschneider“ murmelt, genauso gedankenverloren, als würde man vor dem Einschlafen ein Buch lesen, nur um im Hintergrund an unzählige andere Dinge denken zu können. Und während die gedankenlosen Augen über die Buchstaben wandern, bekommt das Hirn diese sinnlose Vergeudung von Sehkraft erst mit, wenn die Finger automatisch am Seitenende umblättern wollen, ohne dass vom Gelesenen auch nur irgendetwas bis zum Verstand vorgedrungen ist. Dann wiederholt sich das Spiel von Neuem, also vom Beginn der gerade offenen selben Seite. So ein Buch kann da schon eine ganz schön zähe Angelegenheit

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