Der Metzger sieht rot
werden.
Genauso zäh wie das „In-Fahrt-Kommen“ der beiden Kollisionspartner, denn mit soviel Geduld wie Petar Wollnar ist die doch schon stattliche Zahl an Verkehrsteilnehmern hinter dem Pritschenwagen bei Weitem nicht gesegnet. Und wie dann auch noch der Wollnar mit einem durchaus der Fahrgeschwindigkeit des Edgar Zadrolevsky ebenbürtigen Schneckentempo die Fahrt aufnimmt, entlädt sich die rückwärtige Spannung in einem Hupkonzert der Kategorie Hochzeitskonvoi oder Fußballplatz. Man könnte annehmen, der Metzger wäre vom Pech verfolgt, jetzt auch noch der Unfall. Aber weit gefehlt, ein richtiger Segen ist diese Kontaktaufnahme zweier Oldtimer, denn der Willibald wird durch das gerade ertönende Hupkonzert geistig nicht nur direkt zurück ins Stadion geholt, sondern auch auf das Visitenkarterl.
„Herrenausstatter & Maßschneider“ liest er noch eher gedämpft, bei „Edgar Zadrolevsky“ greift seine Stimme schon wieder auf die gewohnte Lautstärke zurück. „Edgar“ wiederholt der Metzger dann allerdings so eindringlich, dass es den Wollnar richtig reißt, ein kurzes Beschleunigen erschreckt den Pritschenwagen und erfreut die rückwärtige Kolonne. Der Zustand des Schreckens auf der einen und der der Freude auf der anderen Seite wird sich einige Zeit halten, denn schon ziemlich laut meint der Metzger: „Petar, gib Gas und bring mich bitte nachhause zur Danjela!“
13
Kein Zeichen von Genervtheit ist dem Wollnar anzumerken, obwohl der jetzt doch schön langsam das Bedürfnis ortet, seine Putzkleidung ablegen zu können. Folglich fällt ihm eine schnellere Fahrweise zur Djurkovic-Heimadresse gar nicht so schwer, genauso wenig wie der Bitte des dort aussteigenden Willibald nachzukommen, doch nachhause zu fahren.
Der Metzger beeilt sich, er, der eigentlich bisher hauptsächlich seinen Möbeln und der mütterlichen Grabpflege Gefühle der Fürsorge entgegengebracht hat, spürt eine Angetriebenheit in sich, als hätte er vergessen, irgendwo irgendein Kind abzuholen. Hektisch sperrt er die Wohnung auf, und noch während der Schlüssel seinen Weg durch die geheimen Windungen des Zylinderschlosses erfolgreich absolviert, hört er ein Kratzen an der Innenseite der Eingangstür, als würde jemand röchelnd auf dem Vorzimmerteppich auf diese Art seine letzten Notsignale auf die Straße senden. Danjelas Schulwartwohnung hat kein Vorhaus, ihr Eingang führt direkt auf den hinter der Schule gelegenen Gehsteig, also eigentlich auf die Gasse, so ähnlich wie Willibalds Werkstatt. Ein wenig komisch kommt das dem Metzger schon immer vor, wenn er zur Djurkovic kommt, so unmittelbar aus dem Trubel der Stadt ins Vorzimmer zu treten, ohne Flur, ohne Vorgarten, gerade mal mit einer Stufe. Und selbst wenn er drinnen ist und aus dem Wohnzimmer aufs WC geht, ein Seitenraum des Vorzimmers, begleitet ihn ein seltsames Gefühl, so als hocke er nicht auf Laufen, Villeroy & Boch oder sonst einer Muschel, sondern direkt auf der Straße. Hat wahrscheinlich traumatische Gründe, natürlich aus der Kindheit, denn während diverser Stadtspaziergänge mit den damals noch trauten Eltern wurde er schon allein beim Äußern eines Ausscheidungsbedürfnisses, welcher Art auch immer, mit heruntergelassenen Hosen zwischen zwei parkende Autos gehievt, um dort sein Geschäft zu verrichten, trotz der drohenden Gefahr, dass justament in diesem Moment eines der beiden Autos nach einem erfolgreich absolvierten Ausparkmanöver als Tarnung wegfallen könnte, was ja auch durchaus gelegentlich passiert ist, und trotz der Schaulustigkeit vorbeispazierender Passanten, was eigentlich immer passiert ist. Kinder sind wahrlich Ausgelieferte ihrer Erzeuger.
So ein Kratzen an der Türinnenseite könnte einer ohnedies schon seelisch erschöpften Person den letzten Nerv rauben, nicht jedoch dem Metzger mit seiner neu entdeckten Fürsorge, für ihn ist dieses Scheuern ein befreiender Wohlklang. Und wie dann nach dem Öffnen der Tür, winselnd vor lauter Freude, das pelzige Wollknäuel gar nicht aufhören will, übermütig dem Überraschungsbesuch auf den Arm springen zu wollen, was bei Edgars Größe gerade mal bis zu Willibalds Knie reicht, fällt dem Metzger an diesem schwarzen Tag zum ersten Mal ein Stein vom Herzen. Das wird aber auch der Einzige bleiben.
Jetzt kann man ja nicht behaupten, der Willibald Adrian wäre ein Aushängeschild gepflegter Tierliebe, Tierliebe war ihm eigentlich bis vor kurzem genauso fremd wie Sushi, Urlaub oder Turnschuhe. Edgar
Weitere Kostenlose Bücher