Der Metzger sieht rot
desselben.
„UKH Intensivstation“, murmelt der Metzger.
Bis zum Aussteigen vor dem Spital fällt kein weiteres Wort mehr.
12
Da ist nicht viel über an sichtbarer Haut. Eingewickelt und mehrfach an irgendetwas angeschlossen liegt ein wuchtiges Paket aus Mullbinden, beschildert mit Danjela Djurkovic, regungslos in einem überwachten Bett. Die Schwestern haben gemeint, er solle viel und freundlich mit ihr reden, ihre Hand halten und sie sanft streicheln, aber der Metzger schafft das mit dem Reden nicht, zu sehr ist ihm zum Weinen zumute. Die Schwestern haben gemeint, er solle nicht zu lange bleiben, dafür aber öfter kommen, aber der Metzger schafft das mit dem Gehen nicht. Er schafft eigentlich momentan gar nichts, zu sehr schafft alles ihn.
Dasitzen und den Dingen in die Augen schauen lernen, das ist der erste Schritt. Danjelas Augen sind geschlossen, da ist das In-die-Augen-Schauen allerdings keine leichte Angelegenheit. Es waren ja schon die Lebensneuigkeiten der letzten Monate für den Metzger auch ohne solch eine Erschütterung keine leichte Angelegenheit. Nach einem jahrelang zurückgezogenen Dasein, pendelnd zwischen seiner Werkstatt, seiner Wohnung und diversen distanzierten Kundenkontakten, prächtiger Selbstorganisation und perfektem Arrangieren mit der Kluft zwischen seinen Sehnsüchten und seinem tatsächlichen Leben, kommt kurzerhand das Schicksal vorbei, ändert die Umstände und hinterlässt Willibald Adrian Metzger mit einem Schlag durchaus ehrlich gemeinte Sozialkontakte, ein erfülltes Privatleben neben der Werkstatt, inklusive einer mächtigen Herzensangelegenheit.
Nun befindet sich der Metzger, wie gesagt, schon allein was den Umgang mit dieser durchaus positiven Hinterlassenschaft betrifft, absolut auf Neuland, was allerdings die mit Sozialkontakten und Herzensangelegenheiten verbundenen möglichen Sorgen angeht, und die kommen ja wie das Amen im Gebet, ist der Metzger noch nicht einmal ein Gestrandeter, von Land in Sicht kann keine Rede sein. So sitzt er also völlig verloren, seelisch beinah ausgelöscht, neben seiner stummen Danjela, und auch wenn die Ärzte meinen, es wäre ein gutes Zeichen, dass Atmung und Kreislauf ohne Maschinen funktionieren, für den Willibald ist weit und breit kein Ufer in Reichweite.
So angreifbar war er noch nie, nicht während seiner schrecklichen Schulzeit, nicht in Anbetracht des Elternverlusts, nicht im schlimmsten Traum. Als wäre ihm ein Stück Herz herausgerissen worden, als hätte eine dumpfe Leere jegliche Lebensenergie zur Selbstabschaltung überredet, so fühlt er sich, so unbeschreiblich müde.
Das sollte sich ändern. Sehr schnell sogar.
Denn die lang gezogene Wiese, die von seinem Sessel aus durchs Fenster zu sehen ist, könnte gar kein besseres Szenario bieten für einen, in Anbetracht seiner übel zugerichteten großen Liebe, von Trauer und Selbstanklagen gebeutelten Mann.
Wie nämlich der große Lederhandschuh des kleinen Jungen, den von einem kräftigen Burschen zugespielten Ball so dermaßen sicher auffängt, als wäre er zuvor nur geschubst und nicht mit einen Holzknüppel geschlagen worden, fängt der Metzger auch etwas auf. Nämlich den Wortlaut der Pospischill-Schicksalsmeldung, den ihm nun sein Gedächtnis gekonnt zuspielt. Bei „… wahrscheinlich sogar einem Baseballschläger!“ kommt die Nadel des inneren Grammophons über diese Kerbe nicht hinweg, und während der kräftige Bursche gekonnt die Keule schwingt und immer wieder seine Bewegungen wiederholt, wird der Abspielarm des Plattenspielers wieder und wieder zurückgeworfen und spult im Metzger pausenlos ein „Baseballschläger“ herunter, einprägsamer kann ein Refrain gar nicht sein, verbunden mit einer entbehrlichen Vorstellung vom nächtlichen Zusammentreffen des Schlägers mit Danjelas Schädel. Was da im Metzger noch sehr kleinlaut zu keimen beginnt, hätte ihm seine Mutter wohl des Öfteren gewünscht, wäre ihr jemals zu Lebzeiten zu Ohren gekommen, was da in der Schule immer wieder mit dem Willibald wirklich passiert ist:
Wut.
Wut, nicht als kleines Brausen, sondern als innere Einsicht, als größeres Projekt.
So eine amtliche Wut kann ja durchaus gewaltige Menschengruppen auf die Straße treiben oder mit Heugabeln und Schaufeln an schwer bewaffnete Fronten, kann ganze Völker dazu veranlassen, sich einer Stimme folgend hinters oder ins Licht führen zu lassen.
Es sei denn, der Wohlstand hat sich breitgemacht wie ein Herbizid auf einer bunten Wiese. Dem
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