Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
Vom Netzwerk:
Fall hinter dem Zufall verdammt viel Plan steckt.

26
    Ganz in der Nähe ist dann übertrieben. Willibald Adrian Metzger kann seiner Neugierde nicht widerstehen, muss schon ein Stückchen marschieren, einige Querstraßen hinter sich lassen, einige rote Ampeln ignorieren und, was Distanzeinschätzungen betrifft, bemerken, dass nichts schlimmer ist als lang gezogene, schnurgerade, breite Straßen – wenn man sich nicht für die Flut der an solchen Straßen epidemieartig angesiedelten Geschäftslokale interessiert.
    Nach scheinbar endlosem Asphalthatscher taucht am Horizont ein winziges Apothekensymbol auf, nur quälend langsam wird es größer, und es vergehen weitere zehn Minuten, bis der Metzger endlich leibhaftig unter dem roten, mit Giftschlange und Schale gezierten A steht.
    Erschöpft betritt der Metzger das Geschäftslokal, mit insofern verbessertem Erscheinungsbild, als dass durch das nun komplett in die Hose gestopfte Hemd dem ohnedies änderungsbedürftigen Bund diese Änderungsbedürftigkeit, um noch ein paar Spannungsfalten mehr, deutlich anzusehen ist. Ich muss dringend zum Schneider, denkt sich der Metzger und kann sich gegen ein inneres Amüsement in Gegenwart dieser doppelbödigen Ironie nicht verwehren.
    Während beim Kolaritsch-Interieur schon deutlich zu sehen war, dass die Pharmaindustrie samt Apotheken neben der Ölindustrie samt Tankstellen zu den am besten florierenden Branchen zählt, ist im Schneider-Geschäftslokal ein Luxus von der Sorte beheimatet, da deckt sich beim Besucher der Gedanke, etwas angreifen zu müssen, mit dem sofortigen Bedürfnis, die eben berührte Stelle umgehend mit frotteezarten Tüchlein wieder lupenrein sauber zu wischen.
    Bei gepflegt wirkenden Besuchern. Ungepflegt wirkende trauen sich da gar nicht herein, auch eine Strategie, den städtischen Randgruppen mitzuteilen: Holt euch eure Tabletten woanders. Der Metzger mag eher den alten Saftladen mit seinen typischen Aromen, seiner ermatteten Holzvertäfelung und seinen Sitzgelegenheiten für ältere wartende Kundschaft.
    Hier kann keiner sitzen, geschweige denn lehnen. Alles aus Glas, himmelblauem Milchglas, himmelblau und weiß furniertem Holz und von der Decke hängenden Raumteilerelementen aus Stoff, klarerweise himmelblau-weiß, nicht einmal anhalten ist ein Thema. Wer hier herinnen Kreislaufprobleme bekommt, kann nur umfallen.
    So eine himmelblau gehaltene Sterilität ist dem Willibald suspekt, um nicht zu sagen unsympathisch, obwohl in einer Apotheke ja gerade diese ein wesentlicher Bestandteil des Geschäfts ist. Nur, so meint der Metzger, ist bei Verdoppelung immer irgendwo der Haken, weil wozu auf ein Auto noch Auto schreiben. Kosmetikerinnen, mit an sich selbst bis zur Unkenntlichkeit angebrachter Kriegsbemalung, Priester mit dem süßlichen Tonfall einer Sexhotline und immer gefalteten Händen, Autofahrer mit Aufklebern der Sorte „Ich bremse auch für Tiere“, Sänger, die beim Spazierengehen hörbar Skalen üben, Tänzer, die beim Zusammensitzen im Freundeskreis auf dem Wohnzimmerteppich, während sie das Rezept für einen Rohkostsalat verraten, so ganz beiläufig Dehnungsübungen praktizieren. Da stimmt was nicht mit dem Produkt, da ist ganz bestimmt weniger drinnen, als der Produktträger den Anschein zu erwecken versucht.
    Natürlich alles Vorurteile, aber der Willibald ist auch nur ein Mensch.
    Herr Schneider höchstpersönlich, wieder dank der höflichen Geste eines Namensschildes als solcher erkennbar, tritt auf den Willibald zu und beginnt ebenso höflich wie sein Schildchen mit seinem Bedienungsakt:
    „Was darf ich für Sie tun?“
    Zum Spaß hat sich der Metzger trotz seiner körperlichen Unleidlichkeit nicht hierher geschleppt, er will ja immerhin was ausrichten oder eigentlich wen ausrichten:
    „Ich komme wegen Ihres Sohnes!“, riskiert er eine Offensive, sozusagen ins Blaue hinein, genauer gesagt ins Himmelblaue.
    Immer noch höflich, aber mit Sorgenfalten im Gesicht, darin hätte sich eine ganze Kolonie Feinstaubmilben verstecken können, deutet Herr Schneider senior dem Metzger, mit ihm in einen hinten gelegenen Raum zu wechseln, und fragt:
    „Das geht ja die Kundschaft nichts an. Also, was hat er denn jetzt wieder angestellt?“
    Ha, denkt sich der Metzger, klingt nicht schlecht.
    „Angestellt ist das falsche Wort, Herr Schneider, eher abgestellt. In seinem Lokal abgestellt!“, setzt er seinen Blindflug fort, immerhin weiß er ja noch nicht, ob der offenbar vorhandene Schneider-Sohn

Weitere Kostenlose Bücher