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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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florierende Geschäft.

    Eine freundliche Dame erscheint hinter dem Verkaufstisch und fragt:
    „Was kann ich für Sie tun?“
    Der Metzger stellt sein beinah leeres Fläschchen auf die Glasfläche.
    „Sie brauchen ein neues?“, fragt Agnes Brunner, wie das silberne Namensschild verrät.
    „Nein, um Gottes willen!“, antwortet Willibald Adrian, holt tief Luft und fragt mit leiser Stimme:
    „Wie viel muss ich davon schlucken, dass es gefährlich wird?“
    Agnes Brunner schmunzelt, ein recht gefälliges Schmunzeln, wie der Metzger beruhigt registriert.
    „Wie viel schlucken Sie denn?“
    „Das Fläschchen hab ich seit vier Tagen!“
    „Na, da waren Sie fleißig, und wie fühlen Sie sich?“
    Diese Frage veranlasst die neben dem Willibald stehende, nervös auf Bedienung wartende Dame, einen auffällig großen Schritt zur Seite zu treten, worauf der Metzger noch leiser wird:
    „Es geht so, leicht außer Atem komm ich halt!“
    Agnes Brunner fokussiert ihre Pupillen auf sein unübersehbares, aus dem heraushängenden Hemd blinzelndes Bäuchlein:
    „Na, das muss nicht unbedingt am Fläschchen liegen!“
    So schnell kann dasselbe gefällige Schmunzeln unverändert in den Augen des Gegenübers als sarkastisches Grinsen gedeutet werden.
    Das ist dem Willibald natürlich furchtbar unangenehm, sein schleißiges Auftreten durch den zu hektischen Aufbruch und die zusätzlich ungepflegte Tatsache, dass er immer noch unrasiert durch den Tag marschiert – und das mag er gar nicht: unrasierte Personen, vorwiegend männliche.

    „Eine g’scheite Rasur ist Sauberkeit pur!“, hat sein Vater immer vorm Badezimmerspiegel selbst vertont geträllert, während er das einzig vorhandene Waschbecken dermaßen lange blockierte, dass der kleine Willibald Adrian meist gleichzeitig am gegenüber des Waschbeckens gelegenen WC sein dringendes Geschäft verrichten musste. Mutter war ohnedies Frühaufsteherin, sie wusste offensichtlich warum.
    Da war der Vater schon lange ausgezogen, hat der Metzger bei seiner ersten Nassrasur in Gegenwart der nicht erwähnenswerten, im Waschbecken verstreuten losen Härchen dasselbe Liedchen angestimmt.
    „Was soll das!“, drang die Stimme der Mutter, in unerwartet lautem Tonfall, unüberhörbar zum Willibald herein.
    „Ich hab mich rasiert!“, wurde vom 17-jährigen Willibald stolz und glücklich retour geschmettert.
    „Schön. Du weißt aber schon, dass die Kombination singen und rasieren die Möglichkeit einer Schnittverletzung im Gesicht sehr begünstigt?“
    Nie hätte Willibalds Mutter direkt ein Verbot ausgesprochen, nur weil sie die Erinnerung an ihren Ex, Willibalds Vater, genauso dringend brauchte wie einen neuen Mann.
    „Übung macht den Meister, sagst du immer!“, brachte eine Knabenstimme ehrwürdig die Zweischneidigkeit zuteil gewordener Erziehung auf den Punkt. Alles, was gelehrt wird, kann gegen den Lehrmeister verwendet werden.
    In diesem Zusammenhang natürlich unabsichtlich, der Metzger wäre ja nie auf die Idee gekommen, seiner hochverehrten Mutter jemals mutwillig Ärger zu bereiten.
    Von diesem Tag an war, wenn der Willibald die Morgentoilette in Angriff nahm, zusätzlich zur verschlossenen Badezimmertür auch die Küchentür zu.
    Offenbar wirkt eine unrasierte Person nicht nur auf den Metzger selbst etwas verwahrlost, denn hinter ihm ertönt:
    „Jetzt lassen Sie sich doch endlich Ihre Pillen geben und gehen Sie heim ins Bett. Oder wollen Sie da so lange herumstehen, bis sich auch wirklich jeder angesteckt hat?“
    Der Metzger dreht sich um und meint bemüht freundlich:
    „Erstens bin ich nicht krank und zweitens gleich fertig.“
    Wieder nach vor gewandt hört er aus Agnes Brunners zartem Mund ein beruhigendes „Wenn Sie viel zu viel erwischen, kann nicht viel sein!“
    „Und ab wann wäre es tödlich?“
    „Erwin, ab wann ist Aconitum tödlich?“
    Erwin ist der am anderen Ende stehende Apothekenbesitzer, der die Frage, genauso wie die mittlerweile drei anwesenden Kundschaften, deutlich verstanden hat.
    „Da müssen S’ schon einen Strauß Eisenhut unauffällig in den Salat mischen, damit sich das auch richtig auszahlt. Wen soll’s denn treffen, die Schwiegermutter?“ Ein Lustiger also, geht es dem Metzger durch den Kopf. Nicht den drei Kundschaften, die beäugen den Willibald, als wäre dessen Bäuchlein ein um die Hüfte geschnallter Sprengsatz, und noch während das nächste Wort fällt, ist der Metzger, wie ursprünglich gewünscht, allein in der

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