Der Metzger sieht rot
nicht hören will, muss fühlen“ greift, spätestens dann reagiert auch der Geist.
Diese letzten physischen Rettungsanker beginnen mit Sekundenschläfchen, die während handwerklicher Arbeitsschritte durchaus schmerzhafter Ausprägung sein können, und enden mit tranceartigen Abwesenheitszuständen, aus denen der Metzger gelegentlich erst am folgenden Morgen, immer noch in der Werkstatt, mit dröhnendem Kopf zu sich kommt. Man könnte es Erwachen nennen, wäre diese Form des Schlafs nicht dermaßen tief, da fände selbst eine Bande Rotzbuben in Holzpantoffeln ausreichend Gelegenheit, ungestört und vor allem unbemerkt dem anwesenden Metzger komplett die Werkstatt umzustellen.
Wenn der Metzger einmal seine psychedelische Abwesenheit erreicht hat, könnte neben ihm in einem brennenden Dornbusch die Urmutter Jehova verkünden, Moses könne doch während der Dornbuschgeschichte auf dem Berge Horeb verdammt noch mal nicht wirklich so blöd gewesen sein und die hebräische weibliche Endung -a von Jehova als männliche ausgelegt haben.
Der Metzger würde dieses weltbewegende Ereignis verschlafen, genauso wie das Läuten des Telefons und das Klingeln der Glocke über der Werkstatttür, die beim Öffnen ihr engelhaftes Meldezeichen in den gotischen Keller schickt.
Am Nachmittag hat der Metzger also bereits einen sitzen, einen ganz leichten, führt kurz Edgar hinaus, organisiert Hundefutter und ein kaltes Abendessen, welches er dann, zurück in der Werkstatt, irgendwo auf dem Arbeitstisch abstellt, um weiter 100-prozentig auf flüssige Ernährung zu setzen. Diese setzt ihn dann aus gleichgewichtstechnischen Gründen immer wieder auf seine barocke Chaiselongue im Hintergrund der Werkstatt, bis er sich irgendwann, abseits vom künstlichen Lichteinfall, von dieser gar nicht mehr erhebt. Was folgt, ist ein anständiger Aussetzer. Anständig aber nicht im Sinn von manierlich, denn selbst der Willibald hat da so seine Träume:
Er sitzt also auf seiner Chaiselongue, der Metzger, wobei aus dem Sitzen längst ein Liegen geworden ist, und in seinem traumgebeutelten Hirn steigen aus einem barocken Gemälde im Zuge einer Restauration die darauf abgebildeten, nur mit Tüchern umworfenen, an weiblichen Rundungen überproportionierten beiden Damen, um sich in derselben neckischen Pose wie zuvor auf der Leinwand leibhaftig in ihrer ganzen Pracht auf der Werkbank auszubreiten. Der Willibald kann es nicht fassen, und was viel schlimmer ist, er kann sie nicht fassen, die Rundungen, denn jedes Mal, wenn sich seine vor Erregung zitternde Hand lüstern zur Werkbank streckt, weichen sie sanft zurück, die Damen, und hinterlassen einen dermaßen betörenden Duft, dass dem erneuten Vorstrecken der Hand gleich noch ein wenig Erregung mehr verpasst wird. Vorsichtig beugt er sich vor, will etwas sagen, will ihnen zart seine Aufforderung stillzuhalten ins Ohr flüstern, öffnet den Mund, setzt an zum ersten Buchstaben und heraus kommt nur – ein Bellen.
Ein brünstiges Mannsbild, das bellt. Was für ein Albtraum. Ein Albtraum für eine angespannte Männerlende, ein Albtraum für den gereizten Geist. Dass jedoch dieser Traum, selbst wenn der Metzger wach wäre, keineswegs an Beklemmung einbüßen würde, ganz im Gegenteil, davon ahnt er nichts, der Willibald Adrian. Zum Glück, kann man da nur sagen.
Der Auslöser seines Erwachens ist nun dieses Bellen.
Kein Wunder, dass sein Augenaufschlag nun nicht mit einem Gefühl des Ausgeschlafenseins einhergeht, denn einerseits erfüllt dieses Bellen, nun aus Edgars Maul, immer noch schrill die Werkstatt, und andererseits erfüllt den Metzger ein mieses Gefühl, entfesselt durch den Gedanken: Wo bin ich, was hab ich getan? Jaja, das Männergewissen kennt selbst bei abtrünnigen Traumphantasien und imaginären Seitensprüngen, seien sie auch nur optischer Natur, kein Pardon. Da muss er jetzt durch, der Willibald, genauso wie durch dieses seltsame Gefühl, dass es dieser betörende Duft der beiden barocken Damen irgendwie vom Traum bis in die Werkstatt geschafft hat.
So dermaßen intensiv ist das gotische Kellergewölbe nun erfüllt von dieser erotischen Würze, der Metzger kann nicht anders, als sich langsam von seiner Chaiselongue zu erheben, um behutsam einen Blick um die Ecke werfen zu können, Richtung Werkbank. Vielleicht liegen sie ja da, die beiden wohlernährten Grazien. Das wäre dann doch zu viel des Guten. Alles ist beim Alten, zumindest in den Augen des Willibald.
Ist also nur der Duft aus
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