Der Metzger sieht rot
Einzelgänger und reagiert auf Artgenossen äußerst aggressiv, nicht jedoch zur Paarungszeit. Das Nerzrudel um Ingeborg Joachim würde sich zu diesem Zeitpunkt somit auch im lebendigen Zustand prächtig vertragen – dieses wunderbare Kribbeln ist den Viechern allerdings nicht mehr vergönnt, Ingeborg Joachim schon.
Sie wird diesen Satz zukünftig weder rückgängig machen können noch wollen.
Otto Weinstadler wird in naher Zukunft den Therapeuten Gerhard Dörflinger nicht mehr brauchen und Willibald Adrian Metzger wird demnächst noch seine rechte Freude mit dieser Furie Joachim haben.
Verwundert schaut er den beiden davonspazierenden Kunden hinterher und kann es einmal mehr nicht fassen, welch absurde Mischungen das Schicksal bereithält, wenn der Frühling durchs Land zieht.
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Endlich in der Werkstatt, benachrichtigt der Metzger umgehend den Pospischill über die scheppernde Begegnung mit Danjelas Waffenrad samt denkwürdigem Pedalritter, oder eigentlich benachrichtigt er nur die Mailbox, denn der Kommissar ist unerreichbar. Der hat auch gerade alle Hände voll zu tun. Wobei unter dieses Tun, selbst wenn er nichts zu tun hätte, garantiert nicht die Suche nach gestohlenen Rädern fällt, was ja im Fall des verschwundenen rot-schwarzen Djurkovic-Drahtesels durchaus mit Logik behaftet gewesen wäre. Welcher Gesetzeshüter sucht heutzutage schon nach gestohlenen Rädern? Gestohlene Räder rufen denselben polizeilichen Diensteifer hervor wie entführte Katzen, entflogene Wellensittiche und rauchende 13-Jährige. Wer sich auf zwei nicht motorisierten Rädern durch die Stadt bewegt und sein Fortbewegungsmittel an einem dafür vorgesehenen Ständer, einer Straßenlaterne oder einem Baum abstellt, kann sich bereits beim Verlassen der Parkstelle überlegen, wie lang er zu Fuß nachhause braucht. Ein Rad in der Stadt ist wie ein Steak im Löwenkäfig.
Nach dem einseitigen Telefonat beginnt für den Restaurator erstmals seit einer Woche wieder der von ihm so geschätzte intensive Austausch mit seinen Möbeln. Hier, in diesem gotischen Kellergewölbe, findet er Ruhe, hier bleibt die Zeit vor der Tür, denn selbst untertags müssen die Leuchtstoffröhren über dem Arbeitstisch, mit ihrem typischen, beinah meditativen Summgeräusch, eingeschaltet bleiben. Dass er am Weinstadler-Spieltisch herumwerkt und nicht am Tabernakelschrank, versteht sich von selbst.
Die Bearbeitung der unterschiedlich farbigen, quadratischen Einlegearbeiten aus Schildpatt, aus denen die Spielfläche gebildet ist, fordert vom Metzger höchste Aufmerksamkeit. Und genau das liebt er so an seinem Beruf: Das Eintauchen in ein Möbelstück, das Verschmelzen mit einem Arbeitsvorgang, und obwohl ihm beim Verschmelzen immer wieder ein kurzer Gedanke an seine Danjela in die Quere kommt, gelingt es ihm tatsächlich, doch ein wenig abzuschalten. Das braucht er auch ganz dringend, der Willibald, denn nichts ist für ihn schrecklicher als die Unrhythmik seines Lebens. Der Metzger ist ein Gewohnheitstier, folgt einem steten Muster, lebt seine Rituale. Wäre er kein Restaurator und hätte er nicht diese gravierenden Beziehungsstörungen zu allen Weltreligionen, vorwiegend zum Christentum, er könnte, lebensorganisatorisch, einen prächtigen Mönch abgeben.
Mit anderen Fixpunkten natürlich als mehrfachen Gebetszusammenkünften, wiederkehrenden Fastenzeiten, Zölibat oder Brechen desselben mit anschließender Selbstgeißelung und weiß Gott.
Was die Trinkgewohnheiten betrifft, kann er allerdings mit den Bräuchen in diversen Klöstern durchaus mithalten.
Auch an diesem Nachmittag widmet sich sein Gaumen wieder einmal gründlich seinen Braunstein-Lieblingsweinen. Was anderes kommt ihm auch nicht mehr ins Regal, da kennt er nichts, der Willibald, und er kennt auch nichts Besseres. Liberalität hört sich beim Wein auf.
Jetzt ist der Metzger zwar ein konsequenter Mensch, aber auch was seine Schwächen angeht. Derer gibt es freilich nicht allzu viele. Die Schwäche, bei der er mit Abstand die größte Konsequenz zeigt, nennt sich: das letzte Achterl übersehen. Sein Körper registriert die Überdosis Alkohol zwar rechtzeitig, schickt auch eifrig die entsprechenden Zeichen wie Müdigkeit, Unkonzentriertheit, schwere Glieder, Trägheit der Zunge etc. ans Großhirn, jedoch vergeblich, der Geist bleibt standhaft. Keine Rede von: Der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach. Erst wenn beim Metzger das Fleisch standhaft bleibt und in letzter Not zur Methode „Wer
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