Der Metzger sieht rot
Kleider!“
Jetzt waren sich die beiden ja bereits beim ersten Treffen in der Schneiderei besonders sympathisch gewesen, diese Anmerkung des Willibald löste aber eine verbrüderungsähnliche Zadrolevsky-Euphorie aus mit dem Kommentar „Aus Ihnen mach ich einen Zaren!“
„Ihr Vater hätte eine Freude, oder?“, wiederholt der Schneider die Frage.
Jetzt kann der Metzger natürlich schlecht erklären, dass sich sein „Wenn das der Vater wüsste“ auf den Zweck der Anzuginstandsetzung samt anschließender Zieladresse bezogen hat, und meint:
„Wenn er den Anzug an mir sehen könnte, ja, da hätte er eine Freude!“
Dass dem Wollnar, der sich wie ein Schattenläufer wortkarg hinter dem Willibald verbirgt, seine Hose jetzt zwar auch deutlich besser passt, den Träger jedoch keineswegs in einen stattlichen Mann verwandelt, fällt auch Edgar Zadrolevsky auf.
„Die Hose sitzt zwar hervorragend, aber wenn Sie woanders hin wollen als ins Kino, ins nächste Beisel oder auf den Jahrmarkt, sollten S’ schon noch gründlich Ihren Kleiderschrank durchstöbern, um nicht zu sagen ausmustern!“
Mit einem reduzierten „Beisel reicht!“ bringt Petar Wollnar seine ganze Verachtung gegenüber der Haltung des Sich-Herausputzens zum Ausdruck. Außen hui, innen pfui, das kennt er nur zu gut von den Erzählungen des Hausmeisterkollegen aus dem Neubau schräg vis-à-vis. Was die bereits nach drei Jahren hinter dem Verputz zu richten haben, ist von kriminellem Umfang. Elektriker und Installateure kommen beim Wollnar sowieso gleich nach Trickbetrügern und Hinterhofganoven. Da ist ihm sein ehrliches Altbaustiegenhaus heilig. Außen pfui, innen pfui, aber sauber.
Man kann auch die Zeichen der Zeit deutlich im Gesicht tragen und trotzdem gepflegt wirken.
Mit Pflege verbringt der Metzger dann auch angespannt den Großteil des Nachmittags und Abends, einerseits mit dem längst fälligen Wohnungsputz und andererseits mit dem Versuch, sich selbst gepflegt herzurichten, um weniger die Zeichen der Zeit als viel eher die Zeichen von Reichtum würdevoll hervorzukehren.
Was beim Metzger unweigerlich zur Einsicht führt: Nur im Märchen wird aus einem Schweinehirten ein Prinz.
Unterbrochen von schweren Zweifelanfällen mit Wallungen, heftigem inneren Unwohlsein und wutentbrannten Monologen über die Oberflächlichkeit des Äußeren, leert er zur Nervenberuhigung dabei die volle Falsche Blaufränkischen vom Biedermeier-Vorzimmertischchen, die halbe Flasche Pinot Noir vom Wohnzimmertisch und spült das Ganze mit einer Bouteille Oxhoft hinunter, ohne einen Bissen zu essen, ohne Edgar einen Bissen zu essen zu geben und ohne optischen Erfolg, natürlich bis auf die eingekehrte Wohnungssauberkeit. Denn in Anbetracht des eigenen Spiegelbildes hat jede stilistische Bemühung in den Augen des Willibald Adrian genauso viel Fortschritt gebracht wie ein Heckspoiler auf einem Opel Corsa.
Und wieder irrt er sich, der Metzger.
Um 22 Uhr erreicht er schließlich den Zustand: Ihr könnt mich alle einmal kreuzweise, steckt seine Geldbörse ein, zieht zum Hochzeitsanzug seines Vaters, den er bereits während der Reinigungsschlussphase namens Staubsaugen übergestreift hat und folglich seit geraumer Zeit trägt, die Schweinsledernen an, steckt sich den protzigen Siegelring seines Großvaters auf den kleinen Finger, knöpft sich in Anbetracht des drohenden Schweißausbruchs im Stiegenhaus auch den zweiten oberen Hemdknopf auf und steht kurz danach, eine Hand im Hosensack, die andere um den Flaschenhals der beinah leeren Flasche Oxhoft, relativ betrunken auf dem Trottoir und winkt den vorbeifahrenden Taxis.
Das vierte bleibt stehen.
„Villa Orchidee!“, gibt er vom Rücksitz aus kurz Bescheid.
„Gerne!“, hört er höflich aus der vorderen Reihe, ohne weitere Frage nach der Adresse. Und während der Taxler geschmeidig den dunklen Mercedes aus der Stadt hinauslenkt und durchs Dunkel der Nacht die beruhigende Abkürzung durch das lang gezogene Waldgebiet zum anderen Ende der Metropole nimmt, nimmt auch der Metzger eine Abkürzung durchs Dunkel und schläft ein.
Ein unüberhörbares „Villa Orchidee!“ weckt ihn. „Jetzt haben Sie aber gut geschlafen, mein Herr!“
Die anstehende Taxirechnung weckt ihn dann so richtig.
Dann steht er keineswegs ausgenüchtert, dafür von einer unendlichen Müdigkeit erfüllt vor dem großen beleuchteten Vorgarten, durch den ein Kiesweg zum Portal der palaisartigen Villa führt.
Knirschend gibt der Boden nach, und
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