Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
Vom Netzwerk:
unsanft, rutscht er mit dem Kinn voran auf den Boden, während den Metzger eine Genugtuung von solcher Intensität durchströmt, er hätte sich geschämt, sie beim Namen zu nennen: Freude.
    Ja, Freude! Der Willibald fühlt eine Beglückung ähnlich einem kleinen Kind, vor dessen Augen dem bösen Wolf der Garaus gemacht wird. Mehr als 40 Jahre hat es gedauert, bis auch der Metzger die Süße der Rache schmecken darf. Ab nun wird er jeden, der ihm erklärt, das Genießen dieser Geschmacksrichtung sei verwerflich, als Lügner bezeichnen. Vergeltung – sie muss ja nicht immer, wie im Falle der gewaltigen Brezen des Werner Blaha, von brutaler Natur sein – hat eine durchaus irdische symmetrische Berechtigung, denn wer kann schon über die Grenze der Existenz hinweg die Gesetzmäßigkeiten im Paradies oder sonst wo beurteilen. Ganz abgesehen davon, dass ja auch das pazifistische Ignorieren des Anspruchs auf einen begründeten Gegenschlag für den auf diesen Gegenschlag Wartenden durchaus die Dimension von Vergeltung erreichen kann. Nur aus Liebe wurde die andere Backe nämlich garantiert nicht hingehalten, da schwingt schon ein wenig was von „Mich brichst du nicht“ mit. Bei der Wahl der Waffen auf Rachefeldzügen kann man ja durchaus auch zur liebevoll emphatischen Gewaltlosigkeit greifen.
    Rache ist also süß, wohlgemerkt mit weit reichender Wirkung. Dem Metzger steht nämlich gleich auch noch der dazugehörige schale Nachgeschmack bevor.
    Denn ein Werner Blaha wurde nicht umsonst zum Gefürchtetsten einer ohnedies schon gefürchteten Truppe, was sich gerade in der Wahl des Spitznamens „der große Blaha“ niederschlagen sollte. Niedergeschlagen hat den Werner Blaha bis jetzt sowieso noch nie wer.
    Wie nun der Pospischill aus seinem Wagen springt und mit gezückter Pistole auf den Blaha zuläuft, lässt ein heftiger Knall mit der darauf folgenden, auf Pospischill-Höhe zerberstenden Windschutzscheibe eines parkenden Wagens erahnen, dass auch der Gestürzte im Besitz einer Waffe ist.
    „Ich bring euch alle um!“ Brüllend robbt der abgeworfene Schütze vom Rad weg, worauf auch der Pospischill in Deckung geht.
    Dann folgt ein weiterer Schuss. Den Scheinwerfer des teuren Vymetal-Fahrzeugs zerreißt es klirrend, was zumindest den Metzger dazu veranlasst, das Vertrauen in den Schutz des Wageninneren zu verlieren, gebückt auszusteigen und hinter das Fahrzeug zu kriechen. Das waren die ersten Schüsse, die dem Willibald Adrian in seinem Leben mit pfeifenden Projektilen um die Ohren geflogen sind, ausgenommen diverse schulische Völkerballabschussversuche, Fußballstreifschüsse in seiner hilflosen Position als einziger Baustein der Freistoßmauer und Beinahetreffer unzähliger Stanniolkugeln; übrigens eine Lappalie im Vergleich zu den tatsächlichen Treffern diese Streifschüsse.
    Und so ein echter, ernst gemeinter Kracher aus einer Handfeuerwaffe geht durch Mark und Bein, vor allem, wenn es einem an jeglicher bubenhafter Knallkörper- oder Platzpatronenerfahrung, dank Untauglichkeitsattest an jeder militärischen Zwangsbeglückung und dank nicht vorhandenem Fernseher an jeglicher Abhärtung durch Herumgeballerunterhaltung mangelt.

    Eine beinah andächtige Stille breitet sich im Metzger aus, nachdem die beiden Schüsse verhallt sind. Andächtig vor der ausgelösten Angst. Selten noch ist dem Willibald Adrian so das Blut in den Adern gefroren, erstarrt hockt er da hinter dem Wagen und weiß keinen Ausweg. Umso erstaunlicher, dass sich sein Körper beinah reflexartig zu einer weiteren Gemeinheit hinreißen lässt:
    Werner Blaha hat nämlich den Gehsteig auf der anderen Straßenseite erreicht, jener Seite, auf der auch die Vymetal in und der Metzger hinter ihrem Auto kauern, und während der Pospischill gegenüber auf die nächste Blaha-Aktion wartet, bemerkt dieser, dass man sich auch mit blutender Brust, gebrochenen Rippen, Unterkiefer und Jochbein immer noch hervorragend auf den Beinen halten kann, weil diese ja unverletzt sind, und beginnt, während er in Pospischill-Richtung feuert, ganz gegen die Ankündigung des Willibald, davonzulaufen.
    Was sich auch als effektiv erweist, zumindest bis zum hinter dem Vymetal-Auto plötzlich herausgestreckten Schweinsledernen am Fuß des Metzger. Schreiend stürzt Werner Blaha erneut, diesmal auf den Gehsteig, verliert seine Waffe und der Metzger endgültig seinen Mut. Weil so schnell gelaufen wie jetzt ist er zuletzt nur in einem seiner Albträume mit beinah demselben Erfolg.

Weitere Kostenlose Bücher