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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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nicht aufs Bett, sondern entspannt aufs Sofa, betrachtet das entsetzliche Bild an der Wand und meint:
    „Ah, ein Podinsky!“
    Denn das kann er, der Willibald, Kunst, auch die zeitgenössische, einordnen. Mit der Malerei verbindet ihn da überhaupt ein lukratives Verhältnis, sozusagen eine kleine schmutzige Liebschaft.
    Denn immer wieder bedeutet die Restauration eines Rahmens gleichzeitig den Erwerb des gesamten Bildes. Was Menschen für einen Schrott wissentlich behandeln, als wäre er ein Schatz, und was Menschen für Schätze unwissentlich behandeln, als wären sie Schrott. Das beginnt mit alten Möbeln oder Gemälden auf Dachböden und endet mit Großeltern in zu Notquartieren umfunktionierten Kellern.
    Nicht nur einmal hat der Metzger solchen Kunstbanausen dank ihrer Ahnungslosigkeit für einen Bruchteil dessen, was er später selbst dafür bekommen hat, wertvolle Bilder abgeluchst.
    Wobei die Schmierereien eines Georgy Podinsky – der trotz jämmerlicher Qualität und bemitleidenswertem Talent in Händler- und Käuferkreisen gehandelt wird, als wäre er ein malender Halbgott – in den Augen des Willibald auf verstaubten Dachböden dem eigenen Verfall ausgeliefert gehören, auf dass ein paar Tauben darauf respektvoll ihre weißlich graue Signatur hinterlassen.
    Stattdessen hängt dieses Gekritzel teuer erstanden und kläglich dekorativ, sozusagen als Demonstration der Geschmacklosigkeit des Besitzers an dessen Wänden, während die ersten weitaus aussagekräftigeren Farbkleckse der eigenen Sprösslinge in den untersten Schubladen verkümmern oder noch tiefer, gleich in den Papierkorb wandern.
    Die Dominanz der roten Tapete des Rosenzimmers verhilft dem ebenso roten Gemälde zur berechtigten Bedeutungslosigkeit, was den Metzger zu der absolut ehrlich gemeinten Äußerung veranlasst:
    „Der passt ja hervorragend an diese Wand, der Podinsky!“
    „Schön, dass er Ihnen gefällt! Ist auch mein größter Schatz. Sie haben also Kunstsinn, mein Herr! Sehr imposant.“
    Imposant findet der Metzger eher, dass so ein teures Gemälde in einem Bordell hängt, denn, soviel ist zur Person des Georgy Podinsky bekannt: Er duldet weder Kopien noch Abdrucke seiner Werke. Ein kluger Schachzug in doppelter Hinsicht, erstens steigern sich so der Wert und die Neugierde, und zweitens würden durch die Grundlage eines vervielfältigten Abdrucks und der damit verbundenen öffentlichen Beurteilung relativ rasch Wert und Neugierde gegen Null konvertieren. Jeder Dreck lässt sich verscherbeln, man muss nur wissen wie.
    „Da müssen Sie ja mit bedeutenden Verehrern verkehren!“, meint der Metzger, ohne die Doppelbödigkeit seiner Bemerkung zu begreifen, was sich im Hinblick auf die ohnedies schon brodelnde emotionale Verfassung seines Gegenübers als nicht unbedingt günstig erweist.
    „Sie nehmen also an, dass dieses Bild, nur weil es mir gehört, gleichzeitig das Geschenk eines Verehrers sein muss, mit dem ich, wie sagten Sie doch, verkehre? Sehr galant!“
    Nach einer kurzen Pause setzt sie fort, durchaus höflich, aber bestimmt:
    „Deswegen sind Sie hier, oder? Wegen der Verehrer, mit denen ich verkehre. Sozusagen als Wallfahrt zu Ehren Ihres Freundes Kwabena Owuso!“
    Dabei schenkt sie aus der auf dem Nachtkästchen stehenden Karaffe mit einer gekonnten Handbewegung Rotwein in die beiden leeren Gläser ein. Dann erhebt sie sich vom Bett, reicht dem Willibald ein Glas und setzt sich in ihrer ganzen bedeckten Entblößtheit neben ihn.
    Das lässt den Metzger natürlich nicht kalt, dieser Anblick, oder eigentlich Einblick auf Reichweite. Zum Glück hat er nun das Glas Rotwein in der Hand und nutzt dieses Angebot, um seinem trockenen Mund mit einem kräftigen Schluck den Grund zur sich ankündigenden Sprachlosigkeit zu nehmen, und meint danach:
    „Und zu Ehren Ihres Freundes!“
    Während der transparente Kimono von den makellosen Schultern gleitet, erklärt sie:
    „Ja, wir waren Freunde, ganz anders als Sie sich das wahrscheinlich vorstellen. Umso mehr wundert es mich, dass ich von Ihnen nichts weiß! Wie war doch Ihr Name?“
    „Gestatten, Willibald Adrian Metzger. Und mit wem hab ich die Ehre?“
    „Dominique Nemesis!“
    „Interessant. Nemesis, die Göttin der Rache! Warum nicht Aphrodite?“
    „Nemesis ist viel eher die Göttin des gerechten Zorns, die Strafende bei Missachtung von Recht und Sittsamkeit! Das hat mehr mit Liebe zu tun, als Sie annehmen.“
    „Sittsamkeit?“, lässt der Metzger seinen Sarkasmus nicht

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