Der mieseste Liebhaber der Welt
zusammenfassen.
Reibung + Aggression – Nähe = guter Sex
.«
Soll noch einer sagen, ich sei nicht gut in Mathe. Annie schüttelte den Kopf.
»Wenn ich mich zwischen den beiden Polen entscheiden müsste, dann wäre mir die Freundschaft lieber. Man kann ja zwischendurch
trotzdem mal miteinander ins Bett gehen.«
Ich grinste. Ganz meine Meinung. Nur Frau Dr. Weihrauch war nicht
amused
.
»Wollen Sie nicht lieber anstreben, eine vertrauensvolle, nahe Beziehung mit dauerhaft befriedigendem Sex zu verbinden?«
Klar, nichts gegen einzuwenden. Ich strebte ja auch den Weltfrieden an, den Champions-League-Sieg des FC St. Pauli und 100 Millionen Euro auf der hohen Kante. Ich fürchtete nur, das würde auch nicht hinhauen. Aber das durfte man seiner Therapeutin
nicht sagen, schließlich gab sie sich Mühe.
»Na, wir versuchen es ja wenigstens«, antwortete ich also, wobei ich nicht unbedingt den zuversichtlichsten Eindruck machte.
Frau Doktor Weihrauch seufzte. Langsamwar sie mit ihrem Latein am Ende. Wir hatten bisher all ihre Vorschläge ausprobiert, skeptisch zwar, aber folgsam: Annie und
ich steckten uns süße Erdbeeren in die Münder und schlürften Sekt aus unseren Bauchnabeln. (Allerdings nannten wir uns dazu
Mickey & Kim und spielten ›9 ½ Wochen‹, was die Ernsthaftigkeit der ganzen Geschichte ein wenig unterlief.) Wir massierten
uns gegenseitig bis zur vollkommenen muskulären Erschlaffung. Annie besorgte sich Strapse und teure Spitzenunterwäsche. (Das
Zeug landete später bei eBay.) Wir schauten uns Pornos an und verbrachten ein Wochenende in einem teuren Hotel. Wir verreisten
drei Tage an einen romantischen Ort, wir besuchten zusammen eine vulgäre Stripshow auf dem Kiez und wir wagten uns sogar an
ein Rollenspiel, in dem wir eine Sequenz aus einem Porno nachturnten. Und ja, wir widmeten uns der Praxis. Wir machten den
Hund im Mond, taten es französisch, griechisch und spanisch. Selbst die Budapester Beinschere probierten wir aus, brachen
aber lieber ab, bevor sich noch jemand ernsthaft verletzte. Aber es änderte alles nichts. Technisch war das ja okay, solide,
würde ich sagen. Aber sonderlich erotisch? Nein. Reine Pflichterfüllung. Wir sollten lernen, uns wieder zu begehren, hatte
Doc Weihrauch gesagt und verlangt, auch miteinander zu schlafen, wenn wir eigentlich keine rechte Lust darauf hatten.
»Sonst verlernen Sie das!«, hatte sie tatsächlich behauptet.
Das wollten wir natürlich auch nicht. Also trieben wir es miteinander, wie Milli Vanilli Musik machte: nicht wirklich.
Dementsprechend unzufrieden war unsere Therapeutin mit den Ergebnissen ihrer Arbeit. Schließlich öffnete Frau Dr. Weihrauch die Büchse der Pandora.
»Hätten Sie ein Problem damit, sich Ihren Partner beim Sex mit einem anderen Menschen vorzustellen?«, fragte sie. Da haben
Annie und ich uns erst einmal lange angeschaut. Tja, das war nicht so leicht zu beantworten.
»Bisher hatten wir da einen Deal«, antwortete Annie schließlich vage, »wenn es schon mal vorkommen sollte, dann wollten wir
dem anderen eigentlich nichts von einem Seitensprung erzählen.«
»Und haben Sie diese Übereinkunft schon einmal – nun – ausgenutzt?«, fragte Dr. Weihrauch.
»Nein«, antworteten Annie und ich fast gleichzeitig.
Das musste nicht stimmen, aber jede andere Antwort hätte unser
agreement
auch ad absurdum geführt. In meinem Fall war es gelogen, wie Sie sich vorstellen können. Allerdings hatte ich für meine Seitensprünge
immer
bezahlt
. Aushäusiger Sex mit emotionalen Verpflichtungen ist nicht so mein Ding, in dieser Hinsicht wollte ich kein Risiko eingehen.
Ich brauchte niemanden, der mir zuhörte und der mein Leben mit mir teilte – dafür hatte ich ja Annie. Was ich hin und wieder
suchte, war ein fremder, aufregender Körper. Nicht mehr. Trotzdem war es heikel, offen darüber zu sprechen. Klar, theoretisch
gestand ich Annie das gleiche Recht auf Triebbefriedigung zu wie mir selbst. Mir graute es allerdings vor den Konsequenzen.
Würde ich es wirklich gutheißen, dass sich Annie mit dem Klempner, Fitnesstrainer oder Callboy einließ, würden mich die Bilder
einer solchen Unternehmung nicht aus der Bahn werfen, so tolerant ich auch zu sein glaubte? (Und was wäre erst los, wenn sie
es mit einem Kerl tat, den ich kannte und mochte, einem unserer Freunde?) Ich wollte es lieber nicht darauf ankommen lassen.
Wer sagt, dass es falsch ist, den Kopf in den Sand zu
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