Der Milliardaer und die Braut
Verstand etwas Entscheidendes nicht in Ordnung war.
Nach dem Tod ihrer Mutter war Jade in regelmäßigen Abständen schlafgewandelt. Meistens fand Jon seine Schwester irgendwo im Haus und brachte sie behutsam zurück in ihr Bett. Doch nachdem er verunglückte, häuften sich die Vorfälle, und Jades Vater bestand darauf, dass sie sich professionelle Hilfe suchte. Nie würde sie den Ausdruck auf dem Gesicht ihres Vaters vergessen. Die Abscheu und die Enttäuschung darüber, dass sein einzig verbliebenes Kind ganz offensichtlich einen mentalen Schaden hatte.
„Jade?“ Mit dem Zeigefinger drehte er ihren Kopf, damit sie ihn ansah.
Sie spürte die Wärme, die von ihm ausging, und am liebsten hätte sie sich gegen seine breite Schulter gelehnt. „Nein“, antwortete sie leise. „Niemand hat es bisher erwähnt. Als Kind bin ich schon eine Weile lang schlafgewandelt. Ich dachte, es wäre längst wieder vorbei, aber vielleicht hat der Stress mit der Hochzeit noch mal einen Rückfall ausgelöst.“
Seine Hand ruhte noch immer an ihrem Gesicht, und er strich mit dem Daumen über ihr Kinn. „Manchmal beschleicht mich das Gefühl, du bist ganz anders als alle denken“, überlegte er laut.
Jade schluckte. „Wieso sagst du das?“, fragte sie erstickt.
„Du trägst so eine übertrieben selbstbewusste Haltung vor dir her“, erklärte Nic. „Aber tief in deinem Inneren ist das – meiner Meinung nach – nichts weiter als ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Du stößt jeden von dir fort, dabei wünschst du dir sehnlich jemanden, der dir wirklich nahe ist. Jemanden, der dich versteht und der dich so akzeptiert, wie du bist.“
Mit einem Mal fühlte sie sich in die Ecke gedrängt. Buchstäblich. Auf der einen Seite stand das Frühstückstablett neben dem Bett, auf der anderen Seite saß Nic dicht neben ihr.
„Keine Ahnung, wovon du da redest“, murmelte sie und setzte eine gelangweilte Miene auf.
Doch Nic grinste nur wissend. „Du spielst das oberflächliche Partygirl echt perfekt. Die Klamotten, das Benehmen, alles ist gut aufeinander abgestimmt. Trotzdem gibt es da etwas an dir, das nicht ins Bild passt.“
Sie wollte ihren Kopf wegdrehen, aber er hielt sanft ihr Kinn fest.
„Lass mich in Ruhe!“, verlangte sie.
„Du magst es nicht, wenn ich dich auf diese Weise berühre?“ Ganz sachte strich er mit der Fingerspitze über ihre zarte Haut.
In ihrer Magengegend flirrte ein aufregendes Gefühl auf. „Ich … Nein.“
„Was ist hiermit?“ Nic beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe.
„Nein“, krächzte Jade wieder und schluckte noch mal. Sie zitterte am ganzen Körper.
„Und wie gefällt dir das hier?“, fragte er und streifte mit seinen Lippen ihren Mundwinkel. Sein unrasiertes Kinn rieb an ihrem Gesicht, und Jade wurde ganz heiß.
„Tu mir das nicht an, Nic!“, bat sie im Flüsterton. „Das macht die Dinge am Ende nur schwerer für uns beide.“
Sein Blick suchte ihren und hielt ihn lange fest, bevor er sprach. „Du hast recht“, stimmte Nic schließlich zu und stand auf. „Du frühstückst jetzt erstmal in Ruhe. Ich habe sowieso noch zu arbeiten.“
In ihre Überraschung mischte sich Enttäuschung. Wie gelang es Nic bloß, so mühelos ihre emotionalen Schalter zu bedienen? Für ihn schien dies alles nicht mehr als ein Spiel zu sein, während sie selbst hilflos ihren Gefühlen ausgeliefert war.
Wahrscheinlich musste er auch gar nicht arbeiten, sondern wollte sich bei einer seiner Angebeteten melden. Jade konnte sich gut vorstellen, wie sie gemeinsam über die arrangierte Eheschließung lachten und sich darauf freuten, dass Nic irgendwann Salvatores Erbe in Empfang nehmen konnte.
Entschlossen schob Jade das Frühstückstablett beiseite und sprang aus dem Bett. Ihr blieb keine Wahl: Sie musste jetzt das Beste aus ihrer Situation machen. Fakt war, sie brauchte dringend das Geld aus dem Erbe, um ihr Überleben zu sichern. Einen Job konnte sie sich nicht einfach suchen, denn es mangelte ihr an Fähigkeiten, Qualifikation und Erfahrung.
Ihr einziges Talent war die Malerei, aber damit konnte sie nichts verdienen. Es gab bereits Tausende von begabten und versierten Kunststudenten, die ihre Werke in ganz Europa feilboten.
Jade hatte einen beeindruckenden Künstler in Mailand gesehen, als sie zuletzt Salvatore besuchte. Damals kaufte sie dem jungen Maler zu einem großzügigen Preis ein gelungenes Aquarell des Castillos ab. Aber wer würde so etwas schon für sie tun?
Während der
Weitere Kostenlose Bücher