DER MILLIONÄR AUS MIAMI
Rafe blickte an ihr vorbei in den Flur. „Müssen wir das hier zwischen Tür und Angel diskutieren, oder darf ich hereinkommen?“
Widerwillig trat sie beiseite und war wütend, weil sie seinen schlanken, muskulösen Körper nicht ignorieren konnte, als er an ihr vorbeiging. „Sollten Sie meinen Sohn wecken“, erklärte sie scharf, „werde ich keine Sekunde lang zögern, die Polizei zu rufen.“
Er warf ihr einen seltsamen Blick zu. „Ich habe es selten nötig, laut zu werden.“ Er strahlte reine Macht aus, eine Macht, die umso beunruhigender wirkte, weil sie so selbstverständlich wirkte.
Dieser Mann hatte genau die natürliche Autorität, die einen guten Vater auszeichnete. Mit einem einzigen Blick würde Rafe Medici alles erreichen, was er wollte, ohne ein lautes Wort zu brauchen. Als Nicoles Blick auf seine großen Hände fiel, wurde ihr schwer ums Herz. Außer er benutzt seine Fäuste.
Tabitha hatte niemals behauptet, dass er sie geschlagen hatte, aber sie hatte angedeutet, dass er brutal war, einschüchternd. Ein grober, nur anfangs charmant wirkender Mann, den sie unterschätzt hatte.
„Es ist an der Zeit, dass ich meinen Sohn kennenlerne“, erklärte er.
Für einen Moment schien ihr das Herz stehen zu bleiben. „Ich möchte nicht, dass Joels Leben durcheinandergerät. Er ist glücklich, und er fühlt sich hier sicher. Sie kennenzulernen würde ihn verstören. Abgesehen davon haben Sie gerade deutlich gezeigt, dass Sie keinen blassen Schimmer von Kindern haben. Joel schläft schon seit einer Stunde.“
„Eines Tages wird er begreifen, dass er einen Vater hat. Je länger ich warte, desto mehr werden er und ich bereuen, dass wir so viel Zeit miteinander verloren haben. Ich habe Rechte. Und wenn ich Sie verklagen muss, um zu bekommen, was mir zusteht, werde ich keine Sekunde lang zögern.“
Nicole sah zu ihm auf. „Wagen Sie es ja nicht, mir zu drohen! Was haben Sie ihm schon zu bieten? Wo leben Sie? Auf einer Playboy-Jacht? Haben Sie sich auch nur ein einziges Mal gefragt, ob das eine geeignete Umgebung für ein Kind ist?“
Rafe presste die Lippen aufeinander. „Ich bin bereit, für mein Kind mein Leben zu ändern. Ich will, dass er bei mir lebt. Wenn es nötig ist, engagiere ich eben ein Kindermädchen.“
Bei dem bloßen Gedanken begann Nicole vor Wut zu schäumen. „Ein Kindermädchen engagieren?! Gott, was wären Sie nur für ein toller Vater! Sie interessieren sich doch kein bisschen für Joel! Alles, was Sie wollen, ist Macht, genau wie Tabitha gesagt hat!“
Als Rafe sie durchdringend musterte, begriff sie, dass sie zu viel verraten hatte. Er stemmte die Fäuste an seine Hüfte und betrachtete Nicole eingehend. „Was genau hat Tabitha Ihnen über mich erzählt?“
Nervös zuckte sie die Schultern und wich einen Schritt zurück. „Dass Sie ihr Angst gemacht haben. Dass sie Sie in einem Club in Miami kennengelernt hat und ihre Affäre nur wenige Monate gedauert hat. Sie hat gesagt, dass sie Sie anfangs charmant und attraktiv gefunden hat, obwohl oder vielleicht auch gerade weil Sie nicht so geschniegelt waren wie ihre bisherigen Freunde. Und dass Sie zum Ende ihrer Affäre hin kontrollsüchtig geworden sind.“ Nicole biss sich auf die Zunge, um nicht zu verraten, dass Rafe Tabitha an ihren Vater erinnert hatte.
Als er tief durchatmete, bebten seine Nasenflügel kaum merklich. Äußerlich wirkte er zwar ruhig, aber seine Augen spiegelten seine Wut. „Dann haben Sie ihre Erzählungen also einfach für bare Münze genommen? Ohne mir jemals begegnet zu sein?“
Nicole blinzelte. „Warum hätte ich ihr nicht glauben sollen? Sie war meine Schwester!“
„Dann weiß ja wohl kaum jemand besser als Sie, dass Tabitha nicht vollkommen gewesen ist.“
„Kein Mensch ist vollkommen.“
„Aber manche sind bessere Lügner als andere.“
„Wollen Sie etwa andeuten, dass Tabitha über so etwas Wichtiges gelogen hätte?!“, entgegnete Nicole.
„Wollen Sie etwa andeuten, dass Tabitha nie in wichtigen Fragen gelogen hat?“
Sie öffnete den Mund, um lautstark zu protestieren, wählte dann jedoch eine vorsichtigere Formulierung. „Nichts so Wichtiges.“
„Fassen wir an dieser Stelle zusammen: Sie sind mir noch nie begegnet und haben mich aufgrund der Meinung einer Frau verurteilt, die nicht gerade für ihre Ehrlichkeit berühmt gewesen ist. Ähneln Sie Tabitha?“
„Nein“, entfuhr es Nicole wie aus der Pistole geschossen. Sie bereute ihre heftige Reaktion sofort. Mit jedem
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