DER MILLIONÄR AUS MIAMI
Satz schien Rafe Medici sie weiter in die Enge zu treiben. Und sie musste Joel schützen! „Ich werde nicht zulassen, dass sie schlecht über Tabitha reden. Immerhin ist sie Joels Mutter. Sie hatte Fehler, genauso wie jeder andere auch. Sie hat das Leben geliebt und es verloren, weil sie Joel zur Welt gebracht hat. Und jetzt gehen Sie bitte.“
Sie sah, dass er mühsam versuchte seine Ungeduld zu zügeln. „Ich habe Rechte, Nicole. Ich bin Joels Vater. Was, wenn ich nicht der Mann bin, für den Tabitha mich gehalten hat? Wie wollen Sie Joel all das erklären, wenn er anfängt, nach seinem Vater zu fragen?“
Zum ersten Mal befielen Zweifel Nicole, doch sie versuchte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Ich muss meinen Jungen schützen.“
„Ich gebe Ihnen einen Tag Zeit, um ihm zu erklären, wer ich bin. Übermorgen komme ich zurück, und zwar um Joel kennenzulernen.“
Panik stieg in ihr auf. „Das geht alles zu schnell!“
„Das bezweifle ich.“
Am nächsten Tag besuchte Nicole ihre Cousine Julia und erzählte ihr, was vorgefallen war. Nachdem Julia ihre zwei Monate alte Tochter zum Mittagsschlaf hingelegt hatte, setzte sie sich zu Nicole auf die Ledercouch und drückte aufmunternd ihren Arm.
„Ich denke, du solltest kooperieren.“
Nicole biss sich auf die Lippe. „Aber es muss doch irgendetwas geben, das ich tun kann!“ Julia war nicht nur ihre engste Vertraute, sondern auch Anwältin – zwei gute Gründe, ihren Rat ernst zu nehmen.
„Sicher, dir stehen viele Möglichkeiten offen. Nur wird das alles dich einen Haufen Geld kosten und das Verhältnis zwischen Joels Vater und dir für immer belasten. Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“
Nicole seufzte. „Und was, wenn er ein grauenhafter Vater ist? Was, wenn er …“ Es fiel ihr schwer, die Worte auszusprechen. „… ihn schlägt?“, fragte sie im Flüsterton.
Nun war Julia diejenige, die seufzte. „Dann sieht die Sache natürlich anders aus.“ Sie trank einen Schluck Kräutertee und fuhr anschließend fort: „Wie kommst du darauf, dass er gewalttätig sein könnte? Hat Tabitha etwas angedeutet?“
„Ja, dass er sie schikaniert hat und dass er sie an unseren Vater erinnert hat.“
Julia nickte langsam. Sie wusste alles über die dunklen Geheimnisse in Nicoles Familie. „Ich verstehe, dass dich das sehr beunruhigt.“
„Gelinde gesagt.“
Ihre Cousine zögerte kurz, als würde sie nach den richtigen Worten suchen, dann sagte sie: „Ich weiß, dass Tabitha dir sehr nahestand, aber auch dir muss aufgefallen sein, dass sie häufig übertrieben hat.“
„Ja, sicher, aber in Bezug auf etwas so Wichtiges?“
„Ich will mich ja nicht auf die Seite von diesem Medici schlagen. Trotzdem kann ich mir gut vorstellen, dass Tabitha sich schikaniert gefühlt hat, einfach weil er nicht nach ihrer Pfeife getanzt hat.“
„Das kann gut sein“, gab Nicole widerwillig zu.
„Ich hoffe, dir ist klar, dass ich dir niemals dazu raten würde, ihm Joel zu geben, ohne mehr über Medici zu wissen, aber …“
„Ich würde ihm Joel niemals geben!“ Nicoles Stimme überschlug sich fast, und ihre Cousine legte ihr besänftigend den Arm um die Schulter.
„Hast du dich schon mal gefragt, warum dieser Mann unbedingt das Sorgerecht für Joel will? Was seine wahren Motive sind? Er scheint sehr wohlhabend zu sein, ein Playboy. Auf das Geld, das Tabitha Joel hinterlassen hat, wird er also kaum aus sein. Die meisten Männer in seiner Situation würden dir Joel mit Handkuss überlassen.“
Wieder biss Nicole sich auf die Lippe. Was hatte Rafe noch einmal erzählt? Dass er seinen Vater früh verloren hatte? Für einen kurzen Moment empfand sie tiefes Mitgefühl mit ihm. Was, wenn er tatsächlich nicht das Monster war, das Tabitha beschrieben hatte?
„Ich weiß, dass dir das nicht gefallen wird, aber ich kann dir nur raten, diesen Mann so gut wie möglich kennenzulernen“, fuhr Julia fort. „Er ist nun einmal Joels Vater, und er hat alle Vorteile auf seiner Seite. Wenn er wollte, könnte er dir Joel schon morgen wegnehmen – und zwar für immer. Die einzige Möglichkeit, die dir bleibt, ist, diesen Moment so lange wie irgend möglich hinauszuzögern.“
Um halb sechs Uhr abends lief Rafe den Gehweg vor dem gepflegten zweistöckigen Haus entlang, das Nicole Livingstone gehörte. Er hatte Pizza und ein paar Muffins mitgebracht. Gerüstet mit den Informationen, die ihm sein Anwalt und sein Privatdetektiv besorgt hatten, klopfte er an
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