Der Moderne Knigge
Andeutungen, daß der
Jour fixe
nur eine Station des gesellschaftlichen Lebens sei, verstehen sie nicht. Werden sie in der kommenden Saison nicht wieder aufgefordert, so halten sie dies für ein dem Hause sehr unangenehmes Versehen, das sie durch ihr Wiedererscheinen auszugleichen suchen. Bei dieser Gelegenheit wird ihnen voll Abscheu die Hand gedrückt, was sie für große Beliebtheit halten. Diese dauerhaften Besucher sprechen sich gewöhnlich sehr wegwerfend über den
Jour fixe
aus und lassen durchschimmern, daß sie ihn nur aus Gefälligkeit mitmachen, um dem Hause ein angenehmes Gesellschaftsmitglied zuzuführen. Sie werden es dahin bringen, daß der Zutritt zum
Jour fixe
nur gegen Vorzeigung der Einladung gestattet wird. Völlige Sicherheit vor ihnen wird dies aber auch nicht gewähren. »Herr,« würden sie den Portier anschreien, »sehe ich aus wie ein Mensch, den man nicht einlädt?« Hui, und sie sind drinnen, und herausgeworfen wird nicht. Diese Mitteilungen werden genügen, jedem Besucher eine kurze Anwesenheit zur Pflicht zu machen.
Man nehme keine Cigarre an. Die
Jour fixe
-Cigarre gehört zu den menschenfeindlichen Sorten, da das Rauchen am
Jour fixe
nicht Sitte ist und der Hausherr, der nicht anwesend zu sein pflegt, jede Verantwortlichkeit für die Cigarre ablehnt.
Es kommt vor, daß die Dame des Hauses ein ganz kleines Töchterchen in die Arena sprengen läßt. Man sei entzückt. Ist das Kind ein Affe, so nenne man es eine künftige Venus von Milo. Giebt die Mutter Zeichen der Unzufriedenheit, so lege man noch eine der drei Grazien zu, man gehe aber nicht höher. Wird das Kind dann wieder hinausgeführt, so gebe man seiner Freude durch bedauernde Worte Ausdruck.
Zu anderen häuslichen Gesellschafts-Episoden ist nur wenig zu bemerken.
Die Geburtstage
vergesse man. Das ist natürlich nicht leicht, aber durch Übung kommt man dahin. Wie man durch die Mnemonik das Gedächtnis stärken kann, so ist man wohl auch imstande, ein System zu schaffen, mit dessen Hilfe man das Vergessen erleichtert. Gratuliert man aber, so kaufe man kein kostbares Blumenarrangement, wenn man nicht weiß, daß die zu beglückwünschende Dame eine große Blumenfreundin ist. Giebt sie nichts auf Blumen, so wird der eintreffende Blumenaufsatz nicht freundlich empfangen, da die Empfängerin berechnet, was sie für den Betrag, den die Blumen verschlungen, Nützliches hätte haben können.
Man verhindert solche zu nichts führende Betrachtung durch ein persönliches Erscheinen. Dies ist auch wegen der Billigkeit vorzuziehen.
Schriftliche Gratulationen verfasse man in Prosa, denn es sind immer schon schlechte Verse eingetroffen, und ein wirklicher Unsinn tritt in der Prosa nicht so bemerkbar hervor. Man lasse überhaupt das Dichten zu Geburtstagen. Meist wird doch von Leuten gedichtet, die es nicht können. Der Umstand, daß das nicht bestraft wird, ist doch kein hinreichender Grund, es zu thun.
Schickt man ein Geschenk mit einer Visitenkarte, so setze man auf diese nicht das Wort:
Gartula!
Es ist ebenso falsch, wie gebräuchlich.
Hat man den Geburtstag versäumt und möchte noch am folgenden Tag ein Geschenk senden, so fasse man Mut und thue es. Selbst noch acht Tage später wird es angenommen. Man darf niemals an der Güte der Menschen zweifeln.
Ist man irgendwo zum Gratulieren erschienen und erfährt, daß anonyme Geschenke eingetroffen sind, so spreche man von diesen in einem Ton, welcher es vermuten läßt, daß man einer der anonymen Geber sei, besonders wenn man es thatsächlich nicht ist. Ich habe schon mindestens sechs Torten gesehen, zu welchen mehrere Väter genannt wurden, die sämtlich unschuldig waren, den Torten hat es aber nicht geschadet.
Man spende keine Torte, welche die Zahl der Jahre der Beschenkten durch Wachslichtchen ausdrückt. Es giebt Damen, welche, schon zwei Jahrzehnte lang nicht über dreißig alt werdend, beim Anblick einer solchen Danaertorte sich einer Ohnmacht näher als sonst fühlten und nach einem flüchtig taxierenden Blick auf den Lichterkranz schwuren, keinen Bissen von diesem Geschenk zu essen, auch wenn es ihre Leibtorte sei. So boshaft darf nur eine gute, liebe Freundin sein, für einen Mann schickt sich das nicht.
Vor allem merke man sich das Folgende, damit man es an Geburtstagen nicht laut werden zu lassen versäume: Der offizielle Titel der oder des den Geburtstag Feiernden vom 35. Jahre aufwärts lautet »Geburtstagskind«. Das Geburtstagskind sieht immer vorzüglich aus. Noch
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