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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Stettenheim
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heißt, ein Ekel. Wird man von dieser seiner Unbeliebtheit überzeugt, so verlasse man vor Beginn der Damenwahl, indem man Schwindel vorschützt, der es ja auch ist, den Salon, und komme erst nach Schluß der Tour zurück.
    Ist man ein Ekel, so gebe man sich keine Mühe, ein liebenswürdiger Mensch zu werden. Es nützt absolut nichts. Ein Ekel bleibt ein Ekel.
    Fast auf jedem Ball finden sich einige alleinstehende weibliche Familienmitglieder älterer Zeitrechnung vor, welche in der Voraussicht eingeladen werden, daß sich im Laufe des Abends eine Familie findet, welche in ihrer Nähe wohnt und sie bis zur Ecke mitnimmt. Von der Ecke bis zu ihrer Thür gehen sie schon allein, da sie bis dahin von ihrem Alter vollständig vor jeder Gefahr, angesprochen zu werden, geschützt sind. Diesen ehrenwerten Familienmitgliedern des gastlichen Hauses bleibe man sorgfältig fern, sonst muß man selbst die beschriebene Begleitung leisten, die von einer ganzen Familie leichter getragen wird. Fällt also im Lauf des Abends die Frage: »Wo wohnen Sie?« so höre man vorbei und antworte: »O ich danke, ich kann nicht klagen,« oder ähnlich. Ein anderes Mittel ist noch nicht erfunden.
    Ein großer Übelstand ist auch die große Achtung und Verehrung, die man in vielen Kreisen genießt. Findet in einem dieser Kreise ein Ball statt, an den sich ein Souper schließt, und man ist eingeladen, so wird man dadurch ganz besonders ausgezeichnet, daß man neben eine der Großmütter des Hauses placiert wird. Solche Damen pflegen sich das schöne Vorrecht des Alters, die Schwerhörigkeit, ungetrübt bewahrt zu haben, und die Unterhaltung gestaltet sich dadurch nicht besonders kurzweiliger. Weil der betreffende Platz nur zu dem Zweck gewählt worden ist, dem Gast ein Zeichen unbegrenzter Verehrung zu liefern und ihn an die Spitze der Gesellschaft zu stellen, so wird man das Herbe, das mit dieser Verehrung verbunden ist, leicht überwinden, aber man begreift doch nicht, weshalb jemand, der keinen Anspruch auf Achtung und Verehrung zu erheben hat, neben ein junges, blühendes, weibliches Geschöpf gesetzt wird, während man denjenigen, den man auszeichnen will, gar nicht vorher fragt, ob er nicht vielleicht bereit wäre, auf die Großmutter des Hauses zu verzichten und dafür vielleicht mit drei Damen, deren Jahre zusammengerechnet die der Großmutter ausmachen, zu soupieren, nur um in bescheidener Weise die öffentliche Huldigung abzulehnen.
    Ist die Schwerhörigkeit der verliehenen Dame noch nicht weit vorgeschritten, so verliere man indes nicht den Mut, dann kann im Laufe des Abends noch alles gut werden, und man wird sich leichter trösten, wenn ich mitteile: Ich wurde eines Abends derart unverdient glänzend ausgestattet, daß ich an die Seite einer Dame gesetzt wurde, mit der nur ein schriftlicher Verkehr möglich war. Als ich mich ihr vorstellte, überreichte sie mir zu einem Bleistift einen ziemlich blätterreichen Block, den ich dann auch gewissenhaft aufplauderte. Sie las und gab mir dann eine Antwort, die mir aber stets den Bleistift wieder in die Hand trieb. Im Nachlaß der Dame muß sich denn auch eines der größten Manuskripte meines Lebens gefunden haben, denn ich habe selten anhaltender gearbeitet, als infolge der mir zu teil gewordenen Auszeichnung. Fürchtet man solche, so bringe man für alle Fälle ein Heftpflaster mit auf den Ball und lege es auf den Zeigefinger der rechten Hand, wenn Block und Bleistift zu erwarten sind. Zum Schreiben mit krankem Finger kann man von keiner Großmutter gezwungen werden. Übrigens ist das schriftliche Verfahren in der Unterhaltung bei Tisch noch nicht die schlimmste Form. Als ich eines Tages einer Tischgreisin, welche mich durch ihre Nachbarschaft auszeichnen sollte, vorgestellt wurde, reichte sie mir ein schlankes Instrument entgegen, welches ich im ersten Augenblick für eine Flöte hielt, so daß ich in meiner Verlegenheit nichts als die Worte hervorzubringen vermochte: »Bitte, nach Ihnen.« Dann erst bemerkte ich, daß es ein Kabel war, welches unsere Unterhaltung vermitteln sollte. Ich weiß seit jenem Abend nicht, welches die angenehmere Form der Unterhaltung ist: die durch die Vermittelung des Bleistifts oder der Hörflinte.
    Wenn man von einem Ballgast um einen Thaler angepumpt wird, so wird dieser nicht ganz als Trinkgeld gebraucht. Der Thaler ist von jenem Ballgast entweder völlig oder bis auf eine Mark rein verdient.
    Man gehe niemals ohne kleines Geld auf einen Ball. Das bei der

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