Der Moderne Knigge
halböffentlichen Gebrauch machen.
Hat man sich von einer Einladung zum Quartett überrumpeln lassen und rückt die Stunde der Exekution näher, so nehme man ein Abendessen ein, da ein tüchtiger Quartettgeber annimmt, daß man kein Souper erwartet, wo die klassischen Meister laut werden, was ihn veranlaßt, an Stelle der leiblichen Genüsse mehr die idealen der Kunst treten zu lassen. Erscheint man nun gegessen im Quartett, so kann man im Ertragen etwas leisten und namentlich die ersten anderthalb Stunden ruhig aushalten.
Man braucht den quartettierenden Herren nicht den Daumen zu halten, da sie fest davon überzeugt sind, daß sie diese künstliche Sicherung des Erfolges nicht brauchen, hauptsächlich deshalb, weil sie regelmäßig mit Beifall überschüttet werden und meinen, daß dieser Beifall ihren Leistungen gelte.
Man sage niemals, daß man die Melodie über alles liebe, und man unterlasse nicht, von Zeit zu Zeit aus Opern, die man verehrt, zu schelten. Man erspart sich dadurch viele Unannehmlichkeiten. Allerdings wird von Musikern und solchen, die es zu sein sich einbilden, in Quartettgesellschaften selten mit Messern gestochen, wenn man außer den Klassikern auch andere Meister neben Wagner zu nennen wagt, aber man hat doch gleichwertige Grobheiten einzustecken, was verhindert wird, wenn man so musikalisch wie möglich mit den Wölfen heult. Das beste ist, daß man irgend ein Mitglied solcher Gesellschaft fragt: »Was halte ich von Bungert? « »Wie denke ich über Mascagni? « »Kann ich Leoncavallo ausstehen?« »Giebt es einen größeren Stümper als Meyerbeer? « Dann wartet man die Antwort ab und läßt hierauf die Meinung laut werden.
Wird man wegen einer unvorsichtigen Äußerung seiner aufrichtigen Meinung beleidigt, so entschuldige man sich, daß man ein eigenes Ohr, einen eigenen Geschmack und eine eigene Überzeugung habe, und verspreche Besserung. Dann wird man mit blauem Auge davonkommen.
Erscheint eine Erfrischung, so beeile man sich, da die Musik sofort wieder beginnt. Der Hausherr haßt die Pausen. Man nutze sie aus. Namentlich eignen sie sich zum Weggehen. Hat man hierzu nicht den Mut, so schreibe man sich die Folgen selbst zu.
Man sei mäßig im Applaus, wie in den Ausdrücken des Lobes. Denn was ein Quartett im Wiederholen leisten kann, das ist geradezu bewunderungswürdig.
Indem wir glauben, unser Thema erschöpft zu haben, was namentlich den Verfasser in eine angenehme Stimmung versetzt, drängt sich merkwürdigerweise immer ein neuer Gegenstand vor, welcher berücksichtigt sein will. Das Thema erscheint unerschöpflich. Aber die Geduld der Leser ist dies leider nicht, und so glaube ich, in deren Sinne zu handeln, wenn ich mich dem Schluß nähere.
Im Winter gedeiht bekanntlich
die wissenschaftliche Vorlesung.
Es giebt eine Anzahl Vereine, welche es für ihre Pflicht halten, ihren Mitgliedern dann und wann einen ernsten Herrn an das Katheder zu liefern, der sie in ihnen fernliegende Gebiete führt und daselbst gewaltsam unterrichtet. Man besucht solche Vorlesungen, auch wenn man nicht unterrichtet sein will, denn es sieht vortrefflich aus.
Hat man kein Talent, sich zu vertiefen, so besuche man solche Vorlesungen, um es zu lernen, da man nicht weiß, wie man es eines Tages nützlich verwenden kann. Jedenfalls ist es gut, sich den Anschein zu geben, als lausche man mit lebhaftem Interesse, und hierin erlangt man in wissenschaftlichen Vorlesungen eine schöne Übung.
Versteht man in solcher Vorlesung jedes Wort ganz deutlich, so lege man trotzdem die rechte Hand an das rechte Ohr, um der Umgebung zu zeigen, wie aufmerksam man folge und wie ängstlich man fürchte, ein einziges Wort zu verlieren.
Versteht man von dem vorgetragenen Thema nichts, so sei man nicht trostlos. Man ist nicht der einzige. Man sage sich alsdann zur Beruhigung, daß der Vortragende alles verstehen wird.
Dann und wann mache man Notizen, wozu man Taschenbuch und Bleistift mitbringen muß. Man schreibe einige gleichgültige Worte, da es sich nur darum handelt, daß man schreibt.
Um das Gähnen zu kachieren, schneuze man sich mit einem größeren Taschentuch.
Will man sich eine Gefälligkeit erweisen, so frage man den Vortragenden am Schluß der Vorlesung, ob sein Vortrag im Druck erschienen sei, oder wann er erscheinen wird. Bei der herrschenden Unlust, Bücher zu kaufen, weiß man dann wieder den Titel eines Buches, das man nicht kauft.
Hat man Lust, mehr Damen zu sehen, als man in wissenschaftlichen
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