Der Moderne Knigge
selbst gesammelt, alle meine Ratschläge selbst ausgeteilt, alle meine Betrachtungen selbst angestellt zu haben. Das war eigentlich nicht tröstlich, und am allerwenigsten konnte es mich ermuntern, meinen Leitfaden weiter zu spinnen. Es ist doch nicht die Aufgabe des Schriftstellers, nichts als ein Echo zu sein, jedenfalls muß es ihn mehr reizen, wenigstens als Souffleur zu fungieren. Als solchen konnte ich mich aber nicht betrachten, wenn ich nicht jeden berechtigen wollte, das Gerücht zu verbreiten, daß ich vom Größenwahn befallen sei.
Wenn ich dennoch den Leitfaden durch den Sommer da anknüpfe, wo ich den durch den Winter atropossenhaft durchschnitten habe, so hat dies, wenn ich nicht irre, folgenden Grund. Ich muß nämlich, um gegen die geschätzten Leser und auch gegen mich gerecht zu sein, feststellen, daß mir jeder versicherte, er habe meine Zeilen, mein Elaborat, mein Werkchen, meine Aufsätze u. s. w. mit großem Vergnügen gelesen, wenn er auch, wie gesagt, nichts Neues daraus erfahren habe. Aber die Form, in der ich alles zu Papier gebracht, sei eine so gefällige – ich wähle in angeborener Bescheidenheit das geringste Epitheton – gewesen, daß er das ihm längst mundgerecht gewesene Bekannte gern gelesen habe. Dies wurde mir aber mit so großer Eindringlichkeit versichert, daß ich nicht umhin konnte, anzunehmen, man wolle nur nicht willig eingestehen, daß ich viele oder doch manche neue und nützliche Lehre veröffentlicht hatte, denn dies Eingeständnis konnte doch nur so aufgefaßt werden, daß man irgend eine weise Lebensregel nicht gekannt, nicht aus eigenen Erfahrungen herausgebildet, sondern sie der Lektüre meines Werkchens zu danken habe.
Man will von einem Schriftsteller unterhalten, aber nicht belehrt sein. So viele mir auch von dem Leitfaden durch den Winter sprachen, so viele haben mir auch gesagt, sie hätten ja nichts neues gelernt, aber sich doch gefreut darüber, daß ich das alte, ihnen längst bekannte zu Papier gebracht. Das hat mich ermuntert, mein Versprechen einzulösen und den besagten Leitfaden durch den Sommer fortzuspinnen.
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Ich glaube, ein Leitfaden durch den Sommer kann nützlicher werden, als der durch den Winter. Das Sommerleben ist bunter und reicher gestaltet, als das Leben im Winter. Die Kälte scheint das Leben im Winter zusammenzuziehen, die Wärme das Leben im Sommer auszudehnen. Der Mensch bewegt sich im Sommer freier, ungebundener, als im Winter, in welchem er doch meist zwischen vier Wänden lebt. Das Leben ist im Sommer öffentlicher, ich möchte sagen: genialer, während es im Winter intimer, eingeschränkter, ich möchte sagen: philiströser ist. Man ist im Sommer leichter zu Ausschreitungen geneigt, zu Excessen verführt.
Der Sonnenstich
hat ohne Zweifel seine Probezeit, in der man es den Befallenen kaum anmerkt, daß sie leidend sind, während sie es in der That sind und durch ihr Benehmen nur dem scharfen Beobachter verraten, daß sie mit knapper Not dem Schlimmsten entgangen sind. Das ist die Zeit, wo der Hund ehrlich toll zu werden pflegt und getötet wird, damit er kein Unheil anrichtet, während der Mensch meist im halbtollen Zustand in Gesellschaft, oder auf Reisen geht, Unheil anrichtet und sehr höflich behandelt wird.
Wenn man im Sommer alle halb- oder ganztollen Menschen totschlüge, so würden, wie ich glaube, nur sehr wenige Menschen den Herbst erleben.
Der Tropenkoller
existiert auch in Europa, und selbst die mit einem milden Klima begnadeten Länder Europas haben ihren Tropenkoller. Da, wo der Tropenkoller zuhause ist, äußert er sich nur anders als bei uns. In den Tropen macht der Koller die Menschen wild, namentlich wenn sie dorthin geschickt sind, um unsere Kultur zu verbreiten, was schon an sich eine Grausamkeit ist. Sie mißhandeln die Schwarzen und sind außer sich, wenn diese Leute sich das nicht gefallen lassen wollen, und sie lassen Weiber peitschen, oder peitschen sie eigenhändig, Weiber, mit denen sie nicht einmal verheiratet sind. In unserer Heimat führt die Bekollerung die Befallenen nicht so weit, oder nur ausnahmsweise, aber sie äußert sich doch häufig in überaus drastischer Weise und wirkt dann komisch, oder langweilig, oder recht lästig, je nach der Heftigkeit des Anfalls. Wer hätte dergleichen nicht schon erlebt!
Gegenüber solchen Zuständen ist es nach meiner und wohl auch nach der Meinung aller sommerkollerfreien und solcher Menschen, die sich einbilden, es zu sein, keinenfalls
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