Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
heran, so dass ihre Rockärmel beim Gehen fast aneinander rieben und sagte in wesentlich gedämpfterer Lautstärke, aber keineswegs dezenterem Tonfall: „In Wahrheit spielen sich ganz andere Ränke ab. Es verhält sich nämlich so, dass der Herzog das Jägerhaus schon längst einem anderen Herrn zugedacht hat, im genaueren dem ehrenwerten Charles Gore, der, wie mir ja gerade einfällt, ein Landsmann von Ihnen ist!“
„Sollte ich ihn allein deswegen kennen?“, fragte Lewis vorsichtig.
„Nicht unbedingt. Er ist Geschäftsmann und Kunstkenner, seit rund einem Jahr hier in der Stadt, ach, und er malt auch etwas. Aber seine hervorstechendste Eigenschaft ist, dass er zwei Töchter hat, von denen eine ein besonders gutes Verhältnis zum Herzog pflegt ...“
„Verstehe“, sagte Lewis schnell, damit sich Böttiger nicht in Einzelheiten verstieg.
„Nun, und da der Herzog den Vater an die Stadt und dessen Tochter an sein Herz binden will, schenkt er ihnen flugs das Jägerhaus.“
„Obwohl Goethe dort lebt.“
„Goethe und seine, äh, Frau – Christiane Vulpius und deren Söhnchen August, ja. Aber was soll’s, sie haben ja nun das Anwesen von Helmershausen.“
„Am Frauenplan.“
„Richtig.“
„Die Straße hinter dieser Häuserzeile.“ Lewis war stehengeblieben und klopfte gegen eine Mauer, die neben der Gasse aufragte. Dahinter war es still, aber von fern hörte man Geräusche, die von Webstühlen herrühren mochten – und eifriges Klopfen.
Böttiger wiegte den Kopf. „Direkt hinter dieser Mauer liegt Goethes Garten ...“
„Warum sind wir dann hier und nicht auf der anderen Seite, um Herrn Goethe zu sehen?“
„Weil er vielleicht noch im Jägerhaus ist. Ich dachte, wir sollten uns dem Frauenplan als Abschluss nähern, damit Sie den richtigen Eindruck bekämen.“
„Welchen Eindruck?“, fragte Lewis ein wenig schärfer als beabsichtigt. Er wusste nicht, ob er sich von Böttiger gegängelt oder gar genasführt fühlen sollte. Langsam störte ihn dessen Gebaren, sonderlich der Klatsch und Tratsch, und er befürchtete, dass nach dieser Vorbereitung etwas besonders Profanes zu erwarten sei.
Böttiger seufzte. „Vielleicht kennen Sie den Ausspruch, man solle Rom nicht verlassen, ohne den Papst gesehen zu haben.“
„Ich muss gestehen, dass dies mich recht wenig kümmert, da ich Anglikaner bin.“
Böttiger schaute konsterniert. „Point taken“, dachte Lewis.
„Wie auch immer“, entgegnete Böttiger. „Jedenfalls verhält es sich hier in Weimar ebenso mit Geheimrat Goethe, und Ihnen als geehrtem Gast wollte ich beides präsentieren. Also entweder das Haus am Frauenplan mit Goethe darin – oder mit ebendemselben auf ebendasselbe zusteuernd.“ Er schaute betreten. „Keinesfalls sollten wir nur beiläufig daran vorbeischlendern.“
„Schlendern?“, fragte sich Lewis, wischte das Bedürfnis nach Klärung aber fort, als er Böttigers Gesichtsausdruck sah. Lewis lächelte. „Lieber Herr Böttiger! Wenn ich gewusst hätte, wie sehr Sie mir das gute, alte Weimar und seine Gefeiertheiten bekannt machen wollten! Nehmen Sie mein Lob und meinen Dank!“ Zur Bekräftigung gestattete er sich, Böttiger leicht beim Ellbogen zu fassen und wieder zum Gehen zu bewegen. „Erzählen Sie mir doch ein wenig mehr von meinem Landsmann, diesem Gore ... wissen Sie eigentlich, was dieser Name ins Deutsche übertragen bedeutet?“
Als sich die beiden schließlich der langgestreckten Häuserfassade an der Marienstraße näherten, schlug Böttiger, der nach dem kurzen Zwischenspiel an der Ackerwand seine scharfe Zunge wiedergewonnen hatte, einen gesetzten Tonfall an.
„Master Lewis, ich muss Sie noch auf etwas vorbereiten, was Ihre Begegnung mit Goethe angeht. Sicher wissen Sie, dass er auch abgesehen von seiner geistigen Größe ein eindrucksvollern Mann ist – möglicherweise ist Ihnen das wohlgeratene Portrait bekannt, das Lips jüngst angefertigt hat … nun, das ist nicht tragisch, was sagen schon Bilder aus, aber jedenfalls muss ich Sie darauf vorbereiten, dass Frau Vulpius in ihrer Gestalt nicht wenig mit dem Herrn Geheimrat kontrastiert. Sie ist, um es fein auszudrücken, eine kleine und unansehnliche Person.“
Böttiger zog die Nase kraus. „Auch möchte ich Sie noch einmal darauf hinweisen, dass Goethe und die Vulpius ehelos zusammenleben, was dennoch zu Nachwuchs geführt hat. Begegnen Sie diesen Dingen also mit Nachsicht, ja Gleichmut.“
Lewis versprach es. Dann traten sie in den
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