Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
schwachen Stunden selbst schon ab und an gezweifelt hatte, wenn er auch genau wusste, in welchen vergangenen Ereignissen dies wurzelte. Andererseits schien es ihm auch, als würde eine erneute Spukgeschichte – auch wenn diese hier mit greifbaren Beweisen belegt werden konnte – ihn in den Verdacht bringen, sich übermäßig interessant machen zu wollen, und über mangelndes Interesse an seiner Person konnte er nun wirklich nicht klagen. Eleonore Böttiger begegnete ihm wie gewohnt strahlend, Karlchen zupfte an ihm herum, und Böttiger selbst gab sich jovial und gönnerhaft. Kurz vor Abschluss der Mahlzeit wurde er ein wenig leiser, ja fast zaghaft, als er das Wort an Lewis richtete.
„Master Lewis, ich wollte Sie noch einmal fragen, wie es mit Ihrem Interesse steht, den einen oder anderen Bürger dieser Stadt kennenzulernen. Falls Sie sich bislang gescheut haben, vielleicht wegen Ihres Sprachvermögens, so kann ich Ihnen versichern, dass Sie geradezu ...“ – nun lächelte Böttiger, dass sein rundes Gesicht kurz aufstrahlte – „... unheimliche Fortschritte gemacht haben.“ Er hob das Glas in Lewis’ Richtung.
Der war froh, sein eigenes bereits vor Böttigers Bemerkung wieder abgesetzt zu haben, denn er zuckte in einem Maß zusammen, dass nicht wenig Wein verschüttet worden wäre, hätte sich das Glas noch in seiner Hand, ja an seinen Lippen befunden. Böttiger bemerkte nichts oder sah es als die Reaktion des heute besonders blass und fahrig wirkenden jungen Engländers auf Komplimente.
Er sprach weiter: „Ich wollte mich erkundigen, ob Sie willens wären, einem besonderen Mann die Aufwartung zu machen.“ Lewis hatte sich wieder gefasst und blickte ehrlich interessiert.
Böttiger erkannte dies und fuhr erfreut fort: „Wenn Sie also interessiert wären, könnten wir heute den Herrn Geheimrat Goethe besuchen, den Autor des Werther und …“
„Sie brauchen nicht weitersprechen, Herr Böttiger. Ich danke Ihnen für Ihre Rücksicht auf meine früher angemerkten Wünsche, nehme aber dieses Angebot dankbar an.“ Jetzt nahm Lewis selbst sein Weinglas zur Hand. „Es schien mir in den vergangenen Stunden, als fehlte mir etwas, trotz der wunderbaren Aufnahme in Ihrem Haus, und dies scheint doch gesellschaftliche Zerstreuung zu sein. Das harte Lernen hat mich ein wenig erweicht, wie ich zugeben muss.“ Mit leicht zitternder Hand nahm Lewis einen Schluck Wein und setzte dann das Glas fest und sicher auf dem Tisch ab. „Also“, sagte er, „wann darf ich den höchst ehrenwerten Herrn Goethe sehen ... oder wann darf er selbst einen neugierigen Blick auf den neuen Jungen in der Stadt werfen?“
Böttiger fühlte sich ein wenig ertappt, und seine Wangen, die gemeinhin eine rosige Färbung aufwiesen, wurden etwas dunkler. Eleonore Böttiger lachte hinter vorgehaltener Hand, und Lewis selbst gönnte sich ein leicht schelmisches Schulterzucken.
Einige Zeit später spazierten Böttiger und Lewis über den Markt in Richtung Frauentorstraße. Hier sah sich Lewis eingekreist von hohen Hauswänden, die ihn allesamt aus starren Fensteraugen begutachteten, ihm aber milde gestimmt zu sein schienen, da er sich nicht unbehaglich fühlte. Vielleicht lag es an den Menschen um ihn herum und an Böttiger an seiner Seite. Der zeigte sich als kenntnisreicher Fremdenführer, wenngleich er auch ein wenig dem Klatsch verfallen zu sein schien. Wann immer ein ihm bekanntes Gesicht auftauchte – und dies war häufig der Fall –, grüßte er mit ausgesuchter Höflichkeit, wusste aber, kaum dass die betreffende Person außer Hörweite war, stets das eine oder andere zu berichten, und weniges war davon schmeichelhaft. Lewis fragte sich, wie es diesem Mann gelingen konnte, halbwüchsigen Schülern eine Vorstellung von sittlicher Reife zu vermitteln. Immerhin wurde Lewis so mit Weimar und seinen Bürgern vertraut, wie es selbst nur wenigen Einheimischen – ohne Böttigers beredte Informationen – gegönnt war, und neben all den menschlichen Abgründen und Skandälchen wusste Böttiger auch reine Tatsachen wiederzugeben, welche Lewis dankbar aufnahm. Böttigers Arm wies bald hier-, bald dorthin, und Lewis folgte mit den Augen und lauschte.
„Wir haben ganz vergessen, uns noch einmal umzuwenden: Hier, wo die Straße in den Markt mündet, ist die Hofapotheke. Das Haus mit dem Erkerchen. Herr Buchholtz ist der einzige Apotheker in Weimar, Sie sind also gut beraten, bei Bedarf etwaiger Pülverchen, sich an ihn zu wenden. Zudem ist
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