Der Mönch und die Jüdin
hatte offensichtlich keinen Zweck. Es gab nur eine Chance: Er musste den Bischof, der für seine verschwenderische Hofhaltung bekannt war, bei seinem Geschäftssinn packen. Wieder verneigte Nathan sich. »Mein Fürst und Gebieter, leider würde eine Verheiratung meiner Nichte mit diesem jungen Mann wichtige Pläne durchkreuzen, die für Euch von ebenso großem Nutzen wären wie für meine Familie. Ich habe Hannah bereits fest einem schwerreichen jüdischen Kaufmann und Geldverleiher aus Mainz versprochen« – das stimmte so nicht ganz, war aber zumindest tendenziell wahr, also nicht völlig gelogen – »und eine Verbindung meiner Familie mit diesem Herrn würde es mir ermöglichen, Euch üppige neue Geldquellen zu sehr günstigen Konditionen zu vermitteln. Ihr seht also, dass es für Euch von großem Nutzen wäre, wenn meine Nichte diesen Juden heiratet …«
Sofort erkannte Nathan, dass er einen großen Fehler gemacht hatte. Der Erzbischof lief rot an. »Schweig!«, schrie er, und sein mächtiger Bauch bebte vor Zorn. »Willst du meine Ehre als Ritter der heiligen römischen Kirche kränken? Glaubst du wirklich, ich würde das Glück zweier junger Menschen meines persönlichen Vorteils wegen verschachern?«
Drohend legte sich die Hand des Bischofs auf den Griff seines Schwertes. Auch seine Ritter setzten grimmige Mienen auf und fassten nach ihren Schwertern. Eine angespannte Stille lastete plötzlich auf dem Burghof.
»Du bist der Einzige hier, der meschugge ist, Nathan!«, sagte der Rabbiner. »Der Bischof ist unser Retter und Wohltäter, aber du denkst nur an deinen persönlichen Profit! Ich weiß, dass die Sache unseren altväterlichen Gesetzen widerspricht. Aber soll ich an einem Tag wie diesem, wo unser Volk von mutigen Christen aus schrecklicher Gefahr gerettet wurde, nicht einmal Liebe vor Recht ergehen lassen? Komm, Nathan, lass uns beide Augen zudrücken und dafür unsere Herzen öffnen!«
»Wohl gesprochen!« Wieder erntete der Rabbiner lauten Beifall.
Nathan brach der Schweiß aus. Es dämmerte ihm, dass er verloren hatte. Seine lukrativen Heiratspläne für Hannah konnte er begraben. Wenn er nicht klein beigab, würden diese Ritter ihn in Stücke hauen. »Also gut«, seufzte er. »Es soll geschehen, wie Ihr befiehlt, Herr.«
»Na, endlich kommst du zur Vernunft!«, sagte Arnold befriedigt. »Wo ist denn deine Nichte? Hinter einem der Fenster? Sicher hat sie schon alles mit klopfendem Herzen beobachtet. Geschwind! Ruf sie zu uns herunter, Nathan! Worauf wartest du?«
Du meine Güte! Wie sollte er dem Bischof klarmachen, dass Hannah … »Nun, Herr, die Aufregung der letzten Tage, der tragische Tod ihres Vaters, das war alles etwas viel für meine Nichte. Ich habe daher … ein Einzelzimmer, wo sie ungestört … Ich, ähm, gehe sie holen, Herr.«
Arnolds Augen wurden schmal. »Nathan«, sagte er drohend, »Einzelzimmer? Ich ahne, was du damit meinst. Du hast sie doch nicht etwa eingesperrt?«
»Nun, Herr, es geschah zu ihrem Besten. Sie hat ihre Ruhe und wird nicht von aufdringlichen jungen Männern belästigt …«
»Schweig!«, donnerte Arnold. »Den Schlüssel!« Er hielt Nathan gebieterisch die Hand hin. Nathan seufzte tief, und – endgültig besiegt – zog er den großen Schlüssel für die Zellentür und den kleinen für Hannahs Fußfessel aus der Tasche und legte sie in die Hand des Erzbischofs.
»Zwei Schlüssel?«, rief Arnold empört. »Dieser kleine Schlüssel sieht aus wie … Du hast das arme Kind doch nicht etwa angekettet?«
»Nun, Herr, nur zu ihrem Besten, wie gesagt, nur zu ihrem Besten. Und der Kerker liegt ja auch gleich hinter den Pferdeställen, er bot sich geradezu an.«
»Eigentlich sollte ich dich in diesen Kerker werfen! Aber an einem Tag wie heute will ich Gnade vor Recht ergehen lassen.« Arnold reichte Konrad die beiden Schlüssel. »Hier, mein Sohn, lauf und befreie deine Braut aus ihrem Gefängnis! Morgen früh wollen wir gemeinsam unsere ruhmreichen Toten zu Grabe tragen, aber morgen Abend soll der Sieg gefeiert werden und zum Zeichen unserer gegenseitigen Freundschaft eine christlich-jüdische Hochzeit stattfinden. Gelitten und gestorben wurde genug, jetzt wollen wir endlich wieder fröhlich feiern!«
***
Hannah hatte gehört, dass draußen etwas geschah. Nur was? In der Ferne waren Stimmen zu hören, doch sie verstand nicht, was da gesprochen wurde. Die Schlacht schien jedenfalls beendet. Später hatte es dann offenbar einen Tumult im Burghof gegeben.
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