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Der Mörder mit der Spritze

Der Mörder mit der Spritze

Titel: Der Mörder mit der Spritze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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gelacht. Es kam
kein Ton, aber ihre Lippen öffneten sich weit genug, um mir weiße Zähne und
eine rosa Zunge zu zeigen, von der ich annahm, daß sie allerhand ekstatische
Erfahrungen bescheren konnte.
    »Ich heiße nach Johann Calvin«,
sagte sie. »Du weißt doch, der Reformator, Begründer des Calivinismus .«
    »Du bist doch keine
Fundamentalistin ?«
    »Nein, einfach nur Christin — und
ich habe das sehr ernst genommen. Ich bin es auch noch, nur sehe ich
mittlerweile, daß das Christentum nur der subjektive Ausdruck des kosmischen
Geistes ist. Religion sollte unmittelbare Erfahrung sein, nicht Indoktrination.
Ich wurde indoktriniert — von meinen Eltern, der Kirche, von dem, was ich las.
Jetzt habe ich mich vom Dogma befreit und bin aufgegangen in der wirklichen
Religion, der Seele des Universums. Jede Religion als starres Gedankengebäude
ist nur der rationalisierte Ausdruck des universalen Geistes. Verstehst du das ?«
    »Vielleicht ein bißchen«, sagte
ich bescheiden.
    »Tja, und da bin ich jetzt .«
    Weitere Fragen über die
Religion schienen mir nicht angebracht; es bestand die Gefahr, daß wir irgendwo
im Kosmos verschwanden und nie wieder auftauchten, zudem hatte ich vergessen,
daß ich eigentlich über das Geld sprechen wollte. Vielleicht konnte ich mich
mit ihren Eltern in Verbindung setzen und sie eingreifen lassen — obwohl sie
bisher wirklich keine Hilfe gewesen waren. Sie hatten mir gesagt, wo ich Sandra
finden konnte, es aber kategorisch abgelehnt, irgend etwas mit ihr zu tun zu haben, weil sie eine
entsetzliche Sünderin sei.
    »Was ist mit den anderen ?« fragte ich und suchte nach einem Ausweg aus dem
spirituellen Labyrinth.
    »Meinst du ihre Namen?
Rennender Hirsch und Weiße Squaw sind auf dem Indianertrip — deshalb haben sie
ihre Namen. Und Bang-Bang-«
    »Danke, das habe ich mir auch schon
einfallen lassen«, unterbrach ich eifrig.
    Sie nickte. »Arme Bang-Bang.
Sie versteht einfach nicht, daß körperlicher Kontakt auf nichtspiritueller
Ebene die Seele zerstört .«
    »Soll das heißen, daß Bumsen um
des Bumsens willen aus der Mode gekommen ist ?«
    »Du hast doch nicht etwa solche
Gedanken in Verbindung mit mir gehabt«, fragte sie, und ihre blauen Augen waren
riesengroß und ungläubig.
    »Aber wo denn! Ich meine, daß
jedes Mädchen als Jungfrau in die Ehe gehen sollte .«
    Das schien sie nicht zu
überzeugen. »Die Ehe hat damit nichts zu tun. Man muß darauf eingestimmt sein —
vielleicht gibt es nur einen einzigen Menschen auf der ganzen Welt, mit dem
gemeinsam man diese Ebene erreichen kann, und vielleicht begegnet man ihm nie .«
    Diese Konversation wollte ich nicht
weiter fortführen, also fragte ich rasch: »Und was ist mit Okie ?«
    »Ach, der kam eines Tages bei
uns an, nachdem er zwei Jahre lang auf der Landstraße gewesen war und sich
nirgends länger als zwei Wochen aufgehalten hatte. Er war aus Oklahoma, so nannten
wir ihn Okie .«
    »Und Rücksitz?«
    »Das ist die gleiche Geschichte
wie bei Bang-Bang. Den Namen bekam sie, weil sie beim Trampen immer auf dem
Rücksitz landete — mit dem Fahrer. Aber sie organisiert das Lager und hält
alles sauber .«
    »Und Ingwer?«
    »Den kennst du ?« fragte sie überrascht. »Er kam gestern nicht zurück. In
letzter Zeit war er überhaupt nicht bei uns — im spirituellen Sinn, meine ich .«
    »Das wird jetzt seine einzige
Möglichkeit sein, wenn er mit euch kommunizieren will .«
    »Wieso?«
    »Er ist tot. Gestern nacht hat man ihn tot auf der Straße gefunden .«
    »O nein! Wie ist das passiert ?«
    »Offenbar eine Überdosis
Heroin.«
    Ihre schönen Augen wurden
feucht, und sie starrte eine Zeitlang in ihren Schoß, als wollte sie mit dem
Geist des Toten Verbindung aufnehmen. Schließlich sah sie auf.
    »So ist es am besten«, sagte
sie. »Er hatte keine Zukunft .«
    Das war eine Art von
Herumphilosophieren, die etwas bedeuten sollte. Aber sie wußte einfach nicht,
was sie angesichts eines solchen Schocks empfinden sollte.
    »Erzähl mir von Sauron «, schlug ich rasch vor. »Er scheint in der Gruppe
alle in der Hand zu haben. Wie kommt das ?«
    »Ach — einfach weil er es tut.
Das ist sein Ding. Er ist auf einer sehr hohen spirituellen Ebene. Daher der
Name. Er hat ihn aus dem Buch Der Herr der Ringe — hat ihn selbst
ausgewählt. Sauron ist eine böse Gestalt. Aber er
sagte, das wäre gut so, denn Gut und Böse sind austauschbar. Wir unterteilen
Handlungen in zwei Kategorien, weil wir moralische Vorurteile haben,

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