Der Mörder mit der Spritze
ein Vermögen gekostet haben mußte.
»Sind die Kinder hier verhaftet
worden? Warten Sie auch auf Ihr Kind ?« Er blieb
schnaufend neben mir stehen, bereit, in die Wache zu stürzen.
»Alles in Ordnung«, sagte ich.
»Es wird keine Anklage erhoben .«
»Wieso nicht? Was ist passiert ?« Er starrte mich mit aufgequollenen Golfballaugen an.
Die Frau kam hinter ihm die
Treppe hoch und blieb stehen. Um ihre Schultern hatte sie eine Nerzstola
gelegt, und sie trug ein wadenlanges, enganliegendes Abendkleid. Die feste,
straffe Haut an Kinn und Wangen, der glatte Hals und die hochstehenden kleinen
Brüste verrieten sorgfältige Diät und regelmäßige Gymnastik. Ihr Gatte war
schroff und ungeduldig, aber sie sah einfach nur besorgt aus.
»Der Captain ist bereit, sie
alle wieder laufen zu lassen — in ein paar Stunden«, sagte ich. »Inzwischen
können wir nur abwarten .«
»Wer sind Sie ?« fragte die Frau scharf.
»Randall Roberts. Eine der
Festgenommenen ist meine Mandantin .«
Der Mann nickte. »Ich bin Cecil
Holloway. Dies ist meine Frau Rhoda. Die Polizei hat gesagt, unser Sohn sei
wegen Landstreicherei festgenommen worden. Stellen Sie sich das vor? Unser Sohn
durchläuft nur eine unruhige Phase — jugendliche Rebellion — , aber deshalb können sie ihn noch lange nicht einfach ins Gefängnis stecken, als
wäre er irgendein Rüpel ohne Familie und Erziehung!«
»Sind Sie sicher, daß alles in
Ordnung ist ?« fragte Rhoda Holloway. »Können wir
bestimmt nichts tun ?«
Ich zuckte die Achseln.
»Natürlich können Sie hineingehen, auf den Tisch hauen und mit Ihrer
Brieftasche drohen, aber wenn Sie nicht mit dem Captain auf gutem Fuß stehen,
sehe ich keine Möglichkeit, Ihren Sohn früher freizubekommen.«
»Der Captain ist ein fetter
alter Spießer und der Auffassung, daß jeder um halb elf im Bett sein sollte«,
sagte Holloway beißend. »Wir bewegen uns nicht in denselben Kreisen .«
Mrs. Holloway lächelte mir schwach
zu. »Ihre Beziehung ist nicht sehr herzlich, seit Cecil vor drei Monaten
versucht hat, eine Anzeige wegen Überschreitung der Geschwindigkeitsbegrenzung
unter den Tisch zu fegen .«
Cecil grollte. »Wie auch immer,
lassen wir es also auf sich beruhen, wenn Sie meinen, daß alles in Ordnung ist.
Sagen Sie, mein Junge wird doch keinen Eintrag ins Strafregister bekommen, oder ?«
»Nein, es wird keine Anklage
erhoben«, versicherte ich ihm. »Dabei fällt mir ein, wie heißt Ihr Sohn
eigentlich ?«
»Charles.«
»Das hilft mir nicht weiter«,
sagte ich. »Die jungen Leute benutzen andere Namen. Teil ihrer jugendlichen
Rebellion, nehme ich an .«
Cecil schnaubte und warf mir
einen bösen Blick zu. »Ja, darüber weiß ich Bescheid. Er hat mir gesagt, daß er
den Namen Charles haßt. Jetzt nennt er sich nach einer Figur aus einem
Märchenbuch für Kinder — irgendwas Blödsinniges, ich kann mich nicht mehr daran
erinnern .«
» Gollum «,
sagte seine Mutter.
Ich sah sie mir genau an,
bemerkte den mütterlichen Stolz und Zorn, die gespannten Wangenmuskeln, die
schimmernden Augen. Aber die beiden schienen ihre Besorgte-Eltern-Nummer ein
wenig zu übertreiben. Ich hatte mir Gollum im
Durcheinander der Razzia nicht sehr genau angesehen, aber er war offensichtlich
über einundzwanzig. Er und Sauron waren die ältesten
der Gruppe, ich schätze sie beide auf ungefähr vierundzwanzig. Insofern war die
Ablehnung, die er dem Lebensstil seiner Eltern entgegenbrachte, mehr als nur
jugendliche Rebellion.
»Tja, eigentlich können wir
hier nichts machen. Haben Sie nicht Lust, mit uns auf einen Drink zu kommen ?« bullerte Holloway fröhlich. Das Besorgte-Eltern-Kostüm
hatte er recht schnell gegen ein anderes, besser passendes vertauscht, und das
hieß >Guter alter Cecil<.
»Warum nicht ?« sagte ich automatisch. Das hatte ich sowieso vorgehabt. »Warten Sie einen
Augenblick, ich gehe nur hinein und hinterlasse eine Nachricht für meine
Mandantin. Ich bin gleich wieder da .«
Mrs. Holloway stieß ihren Mann an.
»Cecil, solltest du Charles nicht einen Zettel schreiben? Er soll uns anrufen,
sobald sie ihn freigelassen haben .« Sie seufzte und
sah mich beinahe verlegen an. »Ich würde ja hierbleiben und warten, aber er mag
es sicher nicht .«
Cecil und ich gingen in die Wache,
und ich gab einem Beamten die Nachricht für Sandra. Auf dem Zettel standen
Telefonnummer und Adresse meines Apartments, dort sollte sie sich melden.
Holloway schob verächtlich
seinen Zettel über den Tisch, und wir
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