Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
schlechtbeleuchteten ersten Stock hinauf, wo einige ihrer Beamten vor der Wohnung standen. Sie sprachen in gedämpftem Ton und warteten gespannt auf die Reaktion der Polizeichefin. Mord kam in Cahors nicht alle Tage vor.
Inspecteur David Truquet schüttelte ihr die Hand. «Sie liegt dadrinnen, Commissaire. Direkt hinter der Tür.» Er reichte ihr ein Paar Latexhandschuhe und Plastikschuhüberzüge.
Der Polizeifotograf hatte im Flur Scheinwerfer aufgestellt, sodass die Leiche in grelles Licht getaucht war. Die Kriminaltechniker in weißen Tyvek-Anzügen traten zur Seite, um die Chefin durchzulassen. Sie betrachtete die Tote. Ihre Haut war bleich und wächsern, aus dem vormals hübschen Gesicht war längst alles Leben gewichen. Ihr Kopf lag in einem eigenartigen Winkel zum Rumpf, ihre Bluse war aufgerissen, ebenso der BH. Auf einer Seite des Gesichts hatte sie einen dunkelvioletten Bluterguss.
«Sexualverbrechen?»
Inspecteur Truquet runzelte bedächtig die Stirn. «Auf den ersten Blick sieht es ganz danach aus. Aber sie hatte noch den Slip an, und der Gerichtsmediziner sagt, sie sei nicht … also … sie sei untenrum nicht angerührt worden.» Es machte ihn verlegen, mit seiner Chefin über den weiblichen Intimbereich zu sprechen. «Und die Wohnung wurde auf den Kopf gestellt. Möglicherweise hat er etwas gesucht.»
«Er?» Taillard hielt nichts von Geschlechterstereotypen.
«Sie wurde mit einem einzigen, kräftigen Faustschlag niedergestreckt, dann hat der Täter ihr das Genick gebrochen. Eine schnelle, saubere Sache. Das war ein Profi, sagt der Pathologe. Ich denke, wir können von einem männlichen Täter ausgehen.»
«Wozu hat er ihr die Bluse aufgerissen?»
Truquet zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.
Taillard warf einen Blick durch den Flur auf das Durcheinander im Wohnzimmer. «Wurde etwas gestohlen?»
«Das wird kaum festzustellen sein. Sie hat allein gelebt, demnach ist schwer zu sagen, ob etwas fehlt. Allerdings hat der Täter die Bude wirklich auseinandergenommen, so als hätte er seine Wut daran ausgelassen.»
«Mord aus Rache?»
«Schon möglich.»
«Zeitpunkt des Todeseintritts?»
«Kurz vor halb zwölf heute Vormittag.»
Sie sah ihren Ermittlungsleiter erstaunt an. «Wie können Sie das so präzise sagen?»
Er ging Richtung Küche und machte ihr Zeichen, ihm zu folgen. Vorsichtig stieg er über diverse Gerätschaften und stinkenden Ziegenkäse auf dem Boden hinweg und zeigte ihr die zerbrochene Uhr am Ofen.
«Elf Uhr neunundzwanzig. Angenommen, er zerschlug sie, als er die Küche demolierte, nachdem er sie getötet hat. Dann muss der Tod kurz davor eingetreten sein. Vor gerade mal drei Stunden. Und die Totenstarre setzt eben erst ein. Es passt also alles zusammen.»
«Wie praktisch.» Sie sah sich genauer in der Küche um. Hängeschränke, Arbeitsplatten, in der Mitte eine Kücheninsel. «Wer hat sie gefunden?»
«Der Briefträger. Er hatte ein Paket für sie und brauchte eine Unterschrift. Die Tür war nicht ganz zugezogen, und als er sie einen Spaltbreit öffnete …»
«Und wer ist die Frau, beziehungsweise, wer war sie?»
«Audeline Pommereau. Sechsundvierzig. Geschieden. Zweifache Mutter. Die Kinder sind erwachsen. Sie hat nachmittags bei der Post in der Rue du Président Wilson gearbeitet.»
Sie nahm ein Zögern in seiner Stimme wahr. «Aber?»
Er nahm Audeline Pommereaus Handtasche von der Arbeitsplatte, zog eine abgegriffene Visitenkarte aus einer der Innentaschen und reichte sie seiner Chefin. «Die haben wir gefunden.» Gespannt beobachtete er ihre Reaktion.
Taillard hielt die Karte behutsam zwischen den behandschuhten Fingern. Ihre professionelle Abgeklärtheit entglitt ihr, auch wenn sie die Verwirrung hinter einer ausdruckslosen Miene verbarg. In der Hand hielt sie die Visitenkarte von Enzo Mackay, Professor der Biologie, Universität Paul Sabatier, Toulouse . Sie drehte die Karte um und las in vertrautem Gekrakel seine private Telefonnummer und die Worte Ruf mich an . «Demnach kannte sie Enzo Mackay», hörte sie sich sagen. «Das besagt nichts.» Dennoch liefen ihre Wangen rot an und verrieten die Geschichte einer amourösen Beinahe-Affäre, die bei ihren Untergebenen augenscheinlich ein offenes Geheimnis war.
«Das ist noch nicht alles, Commissaire.»
Sie folgte Truquet durch den Flur ins Wohnzimmer zurück. Die Kriminaltechniker hatten sich erneut der sorgfältigen Untersuchung des Opfers zugewandt, bevor die Tote in die Leichenhalle überführt
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