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Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Titel: Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter May
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Tür vor der Nase zu. Er wechselte die Schultertasche von einer Seite zur anderen, weil ihm vom Gewicht seines Laptops die Muskeln schmerzten, und stieg die letzten paar Meter zu dem winzigen Platz vor der Kirche hinauf. Auf einer Tafel an der Wand las er Església de Santa Maria . Eine Katze, die auf den Eingangsstufen saß, beäugte ihn mit misstrauischem Blick. Església , nahm Enzo an, war Katalanisch. Im Online-Archiv einer Tageszeitung hatte er gelesen, dass Señora Bright hier jeden Morgen für ihren Sohn betete. Vielleicht hatte sie auch die Gewohnheit, ein Abendgebet für Rickie zu sprechen.
    Drinnen war es kühl und dunkel, und er schritt das Kirchenschiff der Länge nach ab, um zwischen den wenigen Andächtigen ein Gesicht von den Zeitungsfotos wiederzuerkennen. Erst als er alle ausgeschlossen hatte, bemerkte er die kleine Seitenkapelle hinter dem Netzvorhang. Zwischen zwei brennenden Kerzen kniete eine einsame Gestalt am Altar. Er teilte die Vorhänge und ging den Mittelgang zwischen den Bänken entlang. Das Quietschen seiner Gummisohlen auf den blanken Fliesen hallte bis in die Gewölbedecke. Als er die Frau in Schwarz erreichte, blieb er stehen. «Señora Bright?»
    Sie drehte sich zu ihm um, und er erkannte sie. Zugleich registrierte er einen seltsamen Blick in ihren Augen. Eine Mischung aus Angst und Hoffnung. Er fühlte sich wie ein Schicksalsbote mit einer Nachricht von den Göttern. Einer guten und einer schlechten. «Ja?», sagte sie und stand mit steifen Gliedern auf.
    «Möglicherweise habe ich Neuigkeiten über Ihren Sohn.» Die Worte, auf die sie achtunddreißig lange Jahre gewartet hatte.
    * * *
    Als er mit ihr zusammen über den steilen Weg zum Haus hinabging, versank hinter den roten Dächern gerade die Sonne und ließ den Himmel über den Hügeln auflodern. Das Wasser in der Bucht glänzte wie Kupfer.
    Sie öffnete eine Tür an der Seite des Hauses, die unter Efeu und Bougainvilleen fast verschwand, und er folgte ihr in einen kleinen, von einer Mauer umschlossenen Garten in den Schatten hoher Bäume. Zwischen den Pflastersteinen wuchsen Gras und Blumen, und über einen winzigen Steingarten stürzte Wasser in ein Becken, das halb unter Seerosen verschwand. Sie bediente einen Schalter neben einer Glastür zum Haus, und versteckte Lampen tauchten den Garten in ein angenehmes Licht. An einem weiß gestrichenen, schmiedeeisernen Tisch nahmen sie Platz, und Señora Bright griff zu einer kleinen Glocke, die sie energisch schüttelte.
    «Tee, Mister Mackay?»
    «Gerne.»
    «Ich habe nur Earl Grey.»
    «Nichts dagegen.»
    Das Dienstmädchen, das Enzo vor einer Viertelstunde die Tür geöffnet hatte, trat aus dem dunklen Haus, und Señora Bright sprach mit ihr in fließendem Spanisch. Die Frau deutete eine Verbeugung an und verschwand nach drinnen.
    Die alte Dame saß da und sah Enzo nachdenklich an, fast, als zögerte sie den Moment hinaus. Sie faltete die Hände vor sich auf dem Tisch und betrachtete sie einige Sekunden. Als sie sich für das Schlimmste gewappnet hatte, sah sie auf. «Also, sagen Sie es mir.»
    «Ich würde lieber zuerst Ihre Geschichte hören, Señora.»
    «Angela», sagte sie. «Nur die Spanier nennen mich ‹Señora›.» Sie seufzte. «Müssen Sie mich so auf die Folter spannen? Sie haben doch gewiss alles in den Zeitungsarchiven gelesen.»
    «Ich würde es lieber von Ihnen hören.»
    Sie stieß einen Seufzer aus, in dem sie nicht nur ihrer Verärgerung, sondern auch der jahrzehntelangen Zermürbung und Enttäuschung Luft machte. «An dem Abend waren wir ein bisschen später dran als sonst. Wir hatten ein anderes Ehepaar aus Essex kennengelernt, und Rod hatte eine zweite Flasche Wein bestellt. Ach, haben wir miteinander gelacht – während jemand oben war und unseren Sohn entführte.» Sie sah Enzo gerade ins Gesicht. «Haben Sie auch nur die leiseste Ahnung, wie zerstörerisch Schuldgefühle sein können? Sie nagen so lange an einem, Mister Mackay, von innen her, bis nichts weiter übrig ist als eine leere Hülse. Das, was Sie vor sich sehen.»
    «Sie hatten den Babysitterservice des Hotels engagiert.»
    «Ja, sicher. Die hatten versprochen, im Viertelstundentakt vorbeizuschauen. Irgendein junges Ding, das sich vom Kochlehrling ablenken ließ. Wir haben unseren Sohn verloren, weil irgendwelchen Teenagern die Hormone durchgegangen sind. Natürlich wurden sie beide entlassen, doch das brachte uns Rickie nicht zurück. Als wir ins Zimmer raufkamen, schliefen Billy und Lucy

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