Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
bestimmen. Heute können wir wesentlich mehr über die betreffende Person herausbekommen. Ihren genetischen Code zum Beispiel. Ihre DNA. Es ist nicht wahrscheinlich, dass derjenige, der Ihren Sohn entführt hat, in irgendeiner Datenbank gespeichert ist, dafür liegt es zu lange zurück. Aber zumindest können wir das Geschlecht von Rickies Entführer bestimmen.»
«Von achtunddreißig Jahre alten Flecken auf einem Stofftier?» Sie schien skeptisch.
«Mit ein bisschen Glück, ja. Dann wüssten wir mit Sicherheit, ob es ein Mann oder vielleicht diese Frau am Pool war.»
Angela Bright klingelte wieder nach dem Dienstmädchen und gab ihr eine knappe Anweisung, bevor sie sich erneut Enzo zuwandte. «Sie sagten, Sie hätten Neuigkeiten über meinen Sohn.»
Enzo war unschlüssig, wie viel er preisgeben sollte. «Ich versuche, eine vermisste Person aufzuspüren», sagte er und wog jedes Wort ab. «Im Zuge meiner Ermittlungen bin ich auf zwei identische DNA-Proben gestoßen, die jedoch von verschiedenen Personen stammen. Was wiederum unmöglich ist.» Erneut zögerte er. Ab jetzt gab es kein Zurück mehr. «Außer im Falle eineiiger Zwillinge.»
Selbst in der zunehmenden Dunkelheit konnte Enzo sehen, dass ihr Gesicht kreidebleich geworden war. Die Frau war nicht dumm. «Und eine davon stammte von Billy?»
«Ihrem Sohn William, ja.»
«Das heißt, Rickie ist noch am Leben.»
«Das heißt, er war 1992 noch am Leben. Aus dem Jahr stammt die DNA, die wir sicherstellen konnten. Ich bin außerdem davon überzeugt, dass er sechs Jahre vorher in Williams Wohnung in London eingebrochen ist und seinen Pass gestohlen hat – und damit seine Identität.»
Enzo beobachtete sie genau, doch es schien, als sei sie plötzlich nicht mehr anwesend. Ihr Blick wirkte glasig, ging ins Leere. Dann flüsterte sie in die Nacht: «Ich hab’s gewusst.» Langsam kehrte sie in die Gegenwart zurück und wandte sich Enzo zu. «Es war fünfzehn oder sechzehn Jahre nach seiner Entführung, irgendwann Mitte der Achtziger. Ich war mir sicher, dass er es war. So sicher, wie man nur sein kann.»
«Sie haben ihn gesehen?»
«In einem Supermarkt in der Stadt. Er trug eine Basketballmütze und eine Sonnenbrille. Für einen Moment dachte ich, es wäre Billy. Aber Billy war nach England zurückgekehrt. Er stand einfach nur da und starrte mich an. Als ich mich zu ihm umdrehte, rannte er aus dem Laden. Ich bin hinterhergelaufen, doch als ich nach draußen kam, war er weg.» Sie hob den Blick langsam zum sternenübersäten Himmel. «Sie können sich nicht vorstellen, wie oft ich diesen Moment im Kopf abgespult habe. Immer und immer wieder. So oft, dass ich irgendwann Zweifel bekam, ob es überhaupt je passiert war.» Sie sah Enzo wieder an. «Bis jetzt.»
Die Tür zum Haus öffnete sich, und das Dienstmädchen kam mit einem Stoffteddybär heraus. Er war zerzaust und schmutzig und an einigen Stellen abgewetzt. Sie gab ihn der Dame des Hauses, und Angela Bright drückte das Spielzeugtier an die Brust, als sei es ihr verlorener Sohn. Enzo streckte die Hand danach aus. «Kann ich mal sehen?»
Widerstrebend reichte sie ihm den Panda, und Enzo fand auf Anhieb die Blutflecken, die zwischen den Wollklumpen eingetrocknet waren. Ein Teil davon war abgeblättert und verblasst, doch es war noch genug vorhanden, um eine ordentliche Probe zu extrahieren. Genug, um jede Menge Tests damit durchzuführen.
Er sah auf und wagte kaum, die Frage auszusprechen. «Kann ich den mitnehmen? Bitte. Ich verspreche Ihnen, dass Sie ihn wiederbekommen.»
Sie starrte ihn an, und plötzlich hatte ihr Ausdruck jedes Gefühl, jede Selbsttäuschung verloren. «Ein Forensiker, der DNA-Spuren von meinem Sohn gefunden hat.» Sie schwieg einen Moment, und ihre Züge verhärteten sich. «Was hat er getan, Mister Mackay? Was ist aus meinem Sohn geworden?»
Enzo holte tief Luft. Er konnte die Wahrheit nicht länger verschweigen. «Ich glaube, Ihr Sohn ist ein Mörder, Angela.»
Kapitel siebenunddreißig
Am Nachthimmel war alles Licht verblichen, nur die Sterne leuchteten wie silberne Nadelstiche in schwarzem Samt. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und die Straßen von Cadaqués waren in nahezu undurchdringliches Dunkel gehüllt. Außerhalb der Saison waren die Restaurants geschlossen, und die Ferienwohnungen standen leer. Die wenigen Bewohner, die geblieben waren, sahen hinter fest verriegelten Fensterläden fern, bis es am späten Abend Zeit zum Essen war.
Enzo lief vorsichtig die steile
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