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Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Titel: Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter May
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fest. Als wäre nichts geschehen. Aber mein Baby war weg.»
    «Hatten Sie damals oder heute irgendeinen Verdacht, wer ihn entführt haben könnte?»
    «Damals war ich mir fast sicher, wer es war. Das habe ich auch der Polizei gesagt, aber die haben wohl geglaubt, ich würde mir das nur einbilden.» Sie zuckte die Achseln. «Schon eigenartig, wie die Gewissheit mit der Zeit schwindet. Inzwischen kann ich mich kaum noch an den Moment erinnern. Nur noch daran, wie ich ihn immer beschrieben habe.»
    «Was für ein Moment?»
    «Den Tag davor hatte ich Rickie mit an den Pool genommen. Es war heiß, um Mittag herum, und die meisten Gäste waren essen gegangen oder hatten sich irgendwo zum Schlafen in den Schatten gelegt. Aber Rickie war schon den ganzen Morgen quengelig gewesen. Ihm war heiß, fast als hätte er Fieber, und ich dachte, ich nehme ihn am besten mit in den Pool, damit er sich ein bisschen abkühlen kann. Als wir aus dem Wasser kamen, bin ich mit ihm unter einen Sonnenschirm gegangen, um ihn abzutrocknen, und da saß eine Frau am Tisch nebenan. Rickie war immer noch schlecht gelaunt, versuchte, sich aus dem Handtuch zu winden, er war aufsässig und widerspenstig. Die Frau schaute einfach nur zu, mit diesem seltsamen Lächeln um den Mund, während sie Rickie bewundernd ansah. Ich habe ihr erzählt, er hätte Hunger. Sie wissen schon, als Entschuldigung für sein Benehmen, und sie fing an, ihn in Schutz zu nehmen. ‹Wir sind alle gereizt, wenn wir Hunger haben›, hat sie gesagt. Gott, ich höre sie noch heute!»
    «Woher kam sie?»
    «Oh, sie war Engländerin, mit absoluter Sicherheit. Vornehmer Akzent. Schätze, nicht weit von London.»
    «Alter?»
    «Dreißig, Anfang dreißig. Keine Ahnung. Schwer zu sagen. Sie hatte eine gute Figur, ohne damit anzugeben. Sie trug einen einteiligen Badeanzug, irgendwie altmodisch. Krauses Haar, etwas unordentlich zu einem Knoten im Nacken zusammengesteckt. Sie war nicht hübsch.»
    «Und wie kamen Sie darauf, sie könnte es gewesen sein?»
    Angela Bright schüttelte den Kopf. «Wenn ich das so genau sagen könnte. Einfach nur etwas an ihrer Art. Etwas in ihren Augen. So etwas wie Begehrlichkeit. Oder Eifersucht, was weiß ich. Wie sie Rickie beobachtete. Dabei hat sie mir kein einziges Mal ins Gesicht gesehen.»
    «Und Sie hatten die Frau dort noch nie zuvor bemerkt?»
    «Nein. Jedenfalls nicht bewusst. Und als die Polizei dann mit ihren Ermittlungen anfing, wohnte niemand im Hotel, der ihr auch nur entfernt ähnlich gesehen hätte. Sie glaubten eindeutig, sie sei nur ein Phantasiegespinst von mir. Aber Frauen haben einen Instinkt, Mister Mackay. Diese Frau neidete mir mein Kind. In dem Moment war mir das nicht klar, doch als ich später darüber nachdachte …» Sie brach mitten im Satz ab, als ersticke sie an ihren Worten. «Zu spät. Verdammt noch mal zu spät!»
    Das Dienstmädchen kehrte mit einem Silbertablett zurück, auf dem sie zwei Tassen, eine Teekanne, heißes Wasser, weißen Zucker und ein Milchkännchen brachte. Sie stellte es auf den Tisch und zog sich erneut ins Haus zurück. Angela Bright schenkte ein. Sie hatte sich wieder gefangen.
    «Zucker, Mister Mackay?»
    «Nein, danke.» Enzo goss sich ein wenig Milch in den Tee und nahm einen Schluck. Er hatte seit Jahren keinen Earl Grey mehr getrunken, und einen Moment lang fühlte er sich an einen anderen Ort zurückversetzt. Vielleicht hielt Angela Bright deshalb an der Gewohnheit fest: als Erinnerung an den Menschen, der sie einmal gewesen war, in ihrem früheren Leben als Ehefrau und Mutter von drei Kindern, an glücklichere Tage, als ihre Familie noch intakt war. Er sah sie nachdenklich an. «In den Zeitungsberichten stand, das Hotelzimmer wäre voller Blut gewesen.»
    «Das war übertrieben. Es gab ein bisschen Blut, Schmierspuren auf dem Boden, ein paar Flecken an Rickies Pandabär. Damals wirkte es ziemlich dramatisch. Rote Spritzer auf weißem Fell. Längst braun wie Rost.»
    «Haben Sie das Stofftier noch?» Enzo merkte, wie sich sein Puls beschleunigte.
    «Selbstverständlich. Am Ende habe ich die Polizei überredet, es mir zurückzugeben. Es ist das Einzige, was mir von Rickie geblieben ist. Das Einzige von ihm, das noch mir gehört.»
    «Könnte ich es mal sehen?»
    Zum ersten Mal sträubte sie sich. «Wozu? Wer sind Sie, Mister Mackay?»
    «Ich war mal Forensiker, Angela. Vor achtunddreißig Jahren konnte man anhand des Bluts, das in dem Hotelzimmer gefunden wurde, nichts weiter als die Blutgruppe

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