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Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Titel: Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter May
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Pflasterstraße hinunter. Von seinem Besuch bei Señora Bright nahm er nicht nur den Plastikbeutel mit Rickie Brights Pandabär mit, sondern auch die Erinnerung an die Verzweiflung einer Mutter. Achtunddreißig Jahre Hoffnung, die sich in einem einzigen Moment sowohl erfüllte als auch zunichtegemacht wurde. Er wagte kaum, sich auszumalen, wie Angela Bright mit der Wahrheit über ihren Sohn fertigwerden würde. In seiner Gegenwart war sie tapfer und höflich gewesen. Zuvorkommend, aber kalt. Gott allein wusste, welche Dämonen über sie herfielen, jetzt, da sie mit der Nacht allein war.
    Irgendwo hinter sich auf der Straße hörte er Schritte in die verlassene Stadt herunterkommen. Leise, schleichende Schritte in der Dunkelheit. Es war frischer geworden, und auch wenn es noch nicht kalt war, lief Enzo ein Schauder über den Rücken. Er horchte, um herauszufinden, ob er sich das Geräusch vielleicht nur eingebildet hatte. Aber nein, da waren sie wieder. Jemand folgte ihm, außer Sichtweite gleich hinter der Kurve.
    Enzo schwenkte nach links in eine winzig schmale Gasse. Hier gab es fast gar kein Licht mehr, sodass er sich die Mauern entlangtasten musste und beinahe über ein paar Treppenstufen gestolpert wäre, die zu einer für die Nacht fest verriegelten Tür hinaufführten. Schon nach einem kurzen Stück zweigten von dieser Gasse drei weitere ab. Eine führte links von ihm den Hügel hinauf, eine geradeaus weiter, die dritte zum Strand hinunter. Jenseits der Dächer spiegelte sich das erste zarte Mondlicht im stillen Wasser der Bucht. Hinter sich hörte er immer noch die Schritte, inzwischen schneller; entschlossen, ihm auf den Fersen zu bleiben.
    Er fragte sich, ob es Rickie Bright irgendwie gelungen war, ihm zu folgen. Oder ob er einfach nur seinen nächsten Schritt vorhergesehen hatte. So oder so hatte es dem Mörder inzwischen mit Sicherheit gedämmert, dass Enzo wusste, wer er war. Oder zumindest, wer er einmal gewesen war. Sein Versuch, die Ermittlungen zu torpedieren, war gescheitert. Dem verzweifelten Mann blieb eigentlich nur noch ein Ausweg.
    Enzo entschied sich für die Abzweigung nach rechts zur Bucht hinunter und ging in den Laufschritt über. Er hörte, wie die Schritte hinter ihm sich ebenfalls beschleunigten, um mit seinem Tempo mitzuhalten. Über die Schulter erhaschte er einen flüchtigen Blick auf einen dunklen Schatten, der aus dem Labyrinth über ihm erschien, und er zwängte sich links in einen schmalen Durchgang, rannte bis ans andere Ende, um gleich wieder nach rechts abzutauchen, wo es so steil bergab ging, dass er seinen eigenen Schwung nicht mehr bremsen konnte. Die Straße machte eine Kurve nach rechts. Durch die Lücken zwischen den Häusern erkannte er die Straßenlaternen an der Strandpromenade. Und fast im selben Moment ertönte irgendwo in der Dunkelheit der Nacht Musik: ein Akkordeon und Violinen, eine Gitarre. Dazu Freudenschreie, laute Rufe und übermütiges Gelächter. Menschen. Sicherheit.
    Am Fuß des Hügels bog die Straße scharf nach rechts ab. Unterhalb der niedrigen Mauer hinter der Kurve drang spärliches Licht durch Binsenmatten, die straff auf ein Holzgestell gespannt waren – ein leichtes Dach für die Musik und das fröhliche Treiben auf dem offenen Platz darunter.
    Enzo schlitterte über die rutschigen taufeuchten Kopfsteine und musste feststellen, dass er nicht anhalten konnte. Er hob einen Fuß, um sich damit am unteren Ende des Hangs gegen die Mauerkrone zu stemmen, ließ sich vom Schwung hinaufheben und ruderte mit den Armen in der Luft, um sein Gleichgewicht zu halten. Schwankend wirbelte er herum und blickte noch einmal die Strecke zurück, die er gekommen war. Kurz bevor er nach hinten ins Leere kippte, sah er, wie die dunkle Gestalt seines Verfolgers gerade in die Straße einbog. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl zu schweben, dann landete er mit seinem ganzen Gewicht rücklings auf den Binsenmatten. Sie federten heftig und fingen seinen Sturz ab, sodass er sich eine halbe Sekunde lang in der Hoffnung wiegte, sie würden halten. Doch dann hörte er ein lautes Knacken und Reißen, eine ganze Seite löste sich, und er stürzte von seinem schwankenden Sprungtuch in einen Wirrwarr aus Musik, Licht und menschlichen Gestalten.
    Unsanft krachte er auf einen improvisierten Tanzboden aus Holz, der ihm zumindest eine weichere Landung bescherte als das Pflaster darunter. Dennoch blieb ihm beim Aufprall die Luft weg. Die Musik verstummte von einer Sekunde

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