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Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Titel: Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter May
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von der strahlenden Sonne, die den vereisten Parkplatz beschien. Kirsty blieb einen Moment sitzen, bevor sie ebenfalls ausstieg. «Was gibt es an einem solchen Ort denn schon zu sehen?»
    Anna nahm sie bei der Hand. «Warten Sie’s ab.»
    Weder hier oben noch auf den niedrigeren Hängen lag Schnee, doch die Berggipfel darüber glitzerten weiß vor einem diamantblauen Himmel. Die Bar-Brasserie war menschenleer. In dem überdachten Einkaufszentrum wanderten nur ein paar verlorene Gestalten zwischen den Ständen mit Postkarten, Bechern und Ski-Anoraks umher. Die Ladenschilder schwankten im Wind. École de Ski Les Yétis, Spar Alimentation, Salon de Thé. An der Theke in der leeren Lobby des trommelförmigen Hotels über dem Einkaufszentrum kritzelte eine gelangweilte Empfangsdame auf einem Block herum. Sie stiegen eine Treppe zu der großen Talstation der Téléphérique hinauf, und in der verwaisten Abfertigungshalle kaufte Anna zwei Fahrscheine für die Seilbahn, die zum Gipfel des Plomb du Cantal hinaufführte, des höchsten Bergs des Massivs. Im Sommer und Winter hätten die Touristen hier in der oberen Etage des Betonbaus in langen Schlangen geduldig angestanden, doch jetzt, in der Zwischensaison, war außer ihnen beiden kein Mensch zu sehen. Ein blau gefrorener Angestellter lochte ihre Fahrscheine und winkte sie zum Einstieg durch.
    Die Plattform bot einen Blick auf die beiden zwischen Pfeilern gespannten Tragseile, die in der grasbewachsenen Schneise im steilen Winkel zur Schneegrenze hinaufführten. Ihre Gondel stand bereit. Die andere hatte soeben die Gipfelstation verlassen und schwebte als ferner Punkt in der strahlend weißen Umgebung wieder herab.
    Sie durchquerten den Einstiegsbereich mit den rot gestrichenen Sperren und traten durch die offene Tür in die leere Gondel. An jeder Ecke gab es Schiebetüren sowie Panoramafenster an beiden Enden. Ein Hinweisschild mahnte, dass die Traglast der Gondel auf maximal achtzig Fahrgäste beschränkt sei, doch an diesem Tag blieb es wohl bei zwei. Anna lehnte sich mit dem Rücken an das blaue Geländer und verschränkte die Arme. «Hier im Cantal bin ich aufgewachsen», sagte sie, «hier habe ich Skifahren gelernt.»
    «Ich bin noch nie Ski gefahren», erwiderte Kirsty.
    Anna sah sie ungläubig an. «Und Sie kommen aus Schottland?»
    «Aus Glasgow. Die Byres Road war nicht gerade für ihre Skipisten bekannt.»
    «Sie müssen es unbedingt mal probieren. Es ist phantastisch.» Ihr Gesicht strahlte allein schon bei dem Gedanken an ihre große Leidenschaft. «Es ist eine absolut beglückende Erfahrung. Wenn Sie erst mal die Angst überwunden haben, gibt es kaum was Schöneres.»
    «Ich weiß nicht, ob ich je die Angst überwinden würde. Ich kann nicht gut das Gleichgewicht halten. Ich falle schon mit Rollschuhen auf die Nase.»
    Der Mann, der ihre Fahrscheine gelocht hatte, erschien, stampfte einmal mit den Füßen und klatschte in die Hände. Dann betrat er die Gondel durch die Tür ihnen gegenüber, öffnete ein Wandpaneel, hinter dem sich die Kabinensteuerung verbarg, und drückte auf einen Knopf, um die Türen zu schließen. Er nickte Anna und Kirsty zu.
    Dann drückte er auf einen zweiten Knopf, und die Gondel machte einen Ruck. Ein elektrischer Motor heulte auf, der die Räder über der Kabine ans Zugseil koppelte, und im nächsten Moment rumpelten sie aus der Station, um ihren Aufstieg zu beginnen. Auf der Aussichtsterrasse rings um das Hotel wurden die hölzernen Picknicktische immer kleiner, bis sie wie Möbel in einer Puppenstube erschienen. Der Ausblick weitete sich, und rings um Le Lioran wurden große Almen sichtbar, die bis an die Baumgrenze und die schneebedeckten Gipfel darüber reichten.
    Es fühlte sich an, als schwebten, als flögen sie. Am ersten Stützpfeiler, den sie erreichten, senkte sich die Gondel ein wenig, um dahinter noch steiler emporzusteigen. Je höher sie kamen, desto weiter öffnete sich der Blick auf die Landschaft unter ihnen. Auf allen Seiten bildeten zerklüftete, verschneite Gebirgskämme den Horizont – die Grenze eines riesigen Flickenteppichs aus sonnenbeschienenem Grün und Weiß. Die andere Gondel glitt, mit dem ösenförmigen Trägerarm ans Drahtseil gehakt, auf ihrem Weg ins Tal rechts an ihnen vorbei, an Bord eine Handvoll Unentwegter.
    Kurz darauf passierten sie die Schneegrenze, wo schwarze, zerklüftete Felsen aus der um diese Jahreszeit noch dürftigen weißen Decke ragten. Als sie die Bergstation vor sich sahen,

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