Der Mond im See
Bluse, graue Hosen und graue Weste, im Haar hatte sie ein blaues Band.
»Guten Morgen, meine Prinzessin«, sagte ich.
Sie gab mir ein flüchtiges Lächeln und beobachtete dann mit gerunzelter Stirn, wie Jeannot versuchte, den Schwarzbraunen aufzuzäumen. Bojar reckte seinen Kopf, so hoch er konnte. Er sträubte sich gegen den Zaum. Jeannot, der kleingewachsen war, hatte ihm zwar den Zügel über den Kopf streifen können, aber den Zaum anzulegen, wollte ihm nicht gelingen. Bojar zeigte ärgerlich seine Zähne und keilte hinten aus.
»Hast du mir den zugedacht?« fragte ich.
»Unsinn. Du reitest Silvio. Er ist schon fertig.«
Ich ging zu dem Schimmel, der friedlich in seiner Box stand und mir vertrauensvoll entgegensah. Er bekam ein Stück Zucker und einen Klaps auf den Hals.
Dann gesellte ich mich wieder zu den anderen drei.
Jeannot hatte offensichtlich Angst vor dem großen Pferd, das konnte man deutlich sehen. Er packte nicht zu.
»Willst du diesen Satan reiten?« fragte ich.
»Er muß bewegt werden, sonst wird er immer unverträglicher.«
»Na, ich weiß nicht«, meinte ich zweifelnd. »Das ist kein Pferd für eine Frau. Sollte ich nicht lieber …?«
»Du? Wie lange hast du nicht auf einem Pferd gesessen?«
»Einige Jahre.«
»Kommt also nicht in Frage. Ich werde schon mit ihm fertig. Draußen ist er ganz ordentlich. Bei Papa war er überhaupt wie ein Lamm.«
Ich hatte so meine Bedenken. Immerhin brachte ich mehr Gewicht in den Sattel, und von meinen ein Meter achtzig blieb ein guter Teil den Beinen vorbehalten. Das wäre im Falle Bojar von einigem Nutzen.
»Peter konnte ihn prima reiten. Der mochte das Pferd besonders gut leiden.«
»Peter?«
»Der Pfleger, den wir früher hier hatten. Er war viele Jahre hier, noch bei Papa. Ein erstklassiger Reiter.«
»Und warum ist Peter nicht mehr da?«
»Mit dem ist so eine komische Sache passiert. Man hat ihn überfallen und ziemlich zusammengeschlagen. Er liegt noch im Krankenhaus.«
»Wie das?«
»Genau weiß ich es auch nicht. Er hat eine Gehirnerschütterung und kann sich angeblich an nichts erinnern. Es muß da irgend etwas mit einer Frau gewesen sein. Eine verheiratete Frau, du verstehst? Drüben in Marnbach. Das erzählen die Leute jedenfalls. Wahrscheinlich hat der Ehemann das besorgt.«
»Aha.«
»Ich war nicht da, als es passierte. Und dann durfte er keinen Besuch bekommen. Aber in den nächsten Tagen werde ich mal in der Klinik vorbeischauen. – Mon Dieu, Jeannot, wie lange denn noch? Werden Sie halt etwas energischer.«
Jeannot standen Schweißtropfen auf der Stirn. Seine zarten Mädchenfinger fummelten hilflos mit dem Zaumzeug herum. Und Bojar hatte längst erkannt, daß er der Überlegene war, und gedachte das auszunutzen.
Ich trat in die Box und sagte: »Lassen Sie mich mal.«
Ich nahm die Trense in die Hand, hielt sie zur Seite, klopfte Bojar den Hals und sprach begütigend auf ihn ein.
»Na komm, mein Alter. Bißchen Spazierengehen ist doch ganz schön. Wenn du immer hier drinstehst, wird dir das Leben zu langweilig. Na, komm, brav. So. So ist er brav.«
Ich faßte ihn über die Nase, nicht zu hart, und zog seinen Kopf herab. Sei es, daß er des Kampfes müde war oder daß er die Autorität spürte, die Hand eines Pferdefreundes, er bog den Kopf herab und ließ sich die Trense ins Maul schieben.
»So ist er brav. Braves Pferd.« Er bekam ein Stück Zucker zur Belohnung, und dann führte ich ihn aus der Box.
Zuerst ging es ganz gut. Bojar marschierte mit langen Schritten den Weg entlang, man konnte merken, daß er nun doch Freude an dem Ausritt hatte. Mein kleiner Schimmel kam kaum nach. Er hatte einen kurzen Schritt und mußte immer ein paar Trabschritte einlegen, um den Anschluß nicht zu verlieren.
Wir ritten am See entlang, dann quer durch einen Wiesenweg zur Straße hinauf, die zu dieser frühen Stunde noch frei von Autoverkehr war.
Nicht weit vom Gutzwiller-Haus entfernt führte ein schmaler Weg zwischen den Gärten aus dem Ort heraus, leicht hügelan. Wir trabten am Rand einer Wiese entlang und kamen dann in den Wald. Bojar schnaubte vergnügt, warf zwar ein paarmal den Kopf auf, schien aber sonst ganz friedlich zu sein. Freilich, ich bemerkte, daß Annabelle ihn sehr fest halten mußte. Beim Traben warf er die Beine, daß es eine Lust war. Ich konnte verstehen, daß der Graf ihn geschätzt hatte. Ein erstklassiges Pferd war das, ein Jammer, daß es nun so nutzlos im Stall herumstand. Ich sagte das zu Annabelle, als
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