Der Mond im See
wir im Schritt auf einem Waldweg wieder nebeneinander ritten.
»Sicher, du hast schon recht. Aber mir ist er auf die Dauer zu anstrengend, man braucht furchtbar viel Kreuz bei ihm. Und verkaufen will ich ihn auch nicht, das würde Papa mir nie verzeihen.«
»Hm. Und dieser – wie heißt er gleich? – Peter, der hat ihn ständig geritten?«
»Täglich. Die beiden kamen gut miteinander aus.«
»Dann kann ich Bojars Ärger verstehen. Er hat zweimal einen Herrn verloren, den er mochte. So etwas kann einem schon die Laune verderben.«
Annabelle lachte. »Das wird es wohl sein. Ich hoffe ja auch, daß Peter wiederkommt, wenn er gesund ist. Wie lange dauert denn eine Gehirnerschütterung?«
»Das kommt auf den Kopf und auf die Stärke der Erschütterung an, würde ich sagen. Da mußt du mal mit dem Arzt sprechen. Sonst ist ihm nichts passiert?«
»Ein paar Platzwunden und Verletzungen, ein verrenkter Arm – ja, ich glaube, das war's. Ich habe mich gewundert, daß man ihn so fertiggemacht hat. Er ist ein kräftiger Bursche, nicht sehr groß, aber stark und mutig.«
»Die Lust auf anderer Leute Frauen wird ihm hoffentlich vergangen sein. Wann ist es denn passiert?«
»Vor drei Wochen etwa. Wie gesagt, ich war noch in Paris. Hélène erzählte mir am Telefon davon, und das war auch der Grund, daß ich so früh hierherkam. Sonst wäre ich jetzt erst gekommen. Aber Chérie war gerade von Zürich heraustransportiert worden, sie muß ja schließlich auch bewegt werden.«
»Und dieser komische Knabe, der jetzt den Pferdestall unsicher macht, wo habt ihr den denn her?«
»Der kam her, einige Tage nachdem das mit Peter passiert war. Er hätte gehört, daß wir jemand für den Stall brauchten. Er wolle studieren im Herbst und würde sich gern den Sommer über etwas verdienen, sagte er. Und er hätte schon einmal in einem Stall ausgeholfen. Und da wir dringend jemand brauchten, haben wir ihn halt genommen.«
»Ihr hättet euch wenigstens vergewissern müssen, ob er jemals schon etwas mit Pferden zu tun gehabt hat.«
»Angeblich soll er auch in Genf in einem Stall gearbeitet haben. Als Schüler noch, auch während der Ferien.«
»Hm. Es scheint mir zwar unwahrscheinlich, aber bitte sehr, wollen wir's mal glauben. Reiten kann er jedenfalls nicht.«
»Nö. Das finde ich ja auch so komisch. Meist wollen doch junge Leute sehr gern reiten, wenn sie schon Stallarbeit machen. Na, ich hoffe, es wird nicht lange dauern. Und wenn du jetzt hier bist, da werden wir es schon schaffen.«
Nun wollte ich aber auch mal einen kleinen Trumpf ausspielen.
»Eigentlich hatte ich nicht vor, lange hierzubleiben.«
»So?« fragte Annabelle. Sie blickte zu mir herüber. Sie schien sich ihrer Sache verdammt sicher zu sein. »Wo wolltest du denn eigentlich hin?«
Ich überhörte den Spott in ihrer Stimme. »Bißchen an die Côte d'Azur vielleicht.«
Sie schürzte verächtlich die Lippen. »Da kannst du nicht mehr hin. Da wimmelt es jetzt von Urlaubern, hauptsächlich Deutschen. Alles billige Touristen. Impossible.«
»Na ja, mal sehen. Vielleicht fällt mir auch etwas anderes ein.«
Wir gingen jetzt schräg durch dichtes Unterholz. Plötzlich sprang vor uns ein Reh auf, und Bojar stieg kerzengerade in die Höhe. Dann versuchte er durchzugehen, aber Annabelle konnte ihn durchparieren.
Sie war blaß geworden. Dann wurde sie zornig. Hieb dem Pferd die Sporen in die Seite, daß es nochmals stieg.
»Nicht doch«, sagte ich. »Beruhige ihn lieber, sonst dreht er völlig durch. Laß uns weiter Schritt gehen.«
»Elender Bock«, zischte sie wütend. »Man kann sich den Hals mit ihm brechen.«
»Es wäre schade um deinen schönen Hals. Und es wäre mir lieber, du würdest ihn nicht mehr reiten.«
»Ich reiße mich nicht darum. Chérie ist mir zehnmal lieber. Aber entweder er wird geschlachtet, oder er muß gehen. Einem Gast kann man ihn sowieso nicht gut anbieten, falls – Gott behüte – mal wirklich einer kommt, der gern reiten möchte.«
»Wenn es dir recht ist, werde ich ihn mal probieren. So ganz auf die ruhige Tour.«
»Es wäre mir auch nicht lieb, wenn du dir den Hals brichst.«
»Wirklich? Das ist nett von dir.«
Bojar war jetzt sehr unruhig. Er tänzelte, verbiß sich in die Trense und warf den Kopf hoch. Annabelle hatte Mühe, ihn zu halten.
»Laßt ihr denn die Pferde wenigstens mal auf die Koppel?«
»Auf was für eine Koppel denn? Wir haben doch kein Weideland mehr. Der einzige Grund und Boden, der uns noch gehört,
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