Der Mond im See
Vertrauen zu erringen. Und dann werde ich für seine Schönheit sorgen. Er ist eben ein Unterentwickelter, man kann ihn nur langsam und mit Geduld an die Zivilisation gewöhnen.«
»Ist er nicht schön, Mami?« rief René.
Renate lachte ein wenig.
»Es geht, Liebling. Aber ich sehe, dir gefällt er, das ist die Hauptsache.«
»Und er darf bei mir bleiben?«
Wir gingen langsam auf die beiden zu. Amigo blieb sitzen. Beobachtete uns aber lauernd und zog ein wenig die Lefzen von den Zähnen.
»Du kannst ihn nicht mit hinaufnehmen«, sagte Renate, »das weißt du ja. Es geht nicht wegen der anderen Gäste. Aber wir können ihn hier unten treffen.«
»Ja, Mami, bitte. Und dann muß ich auch nicht bloß in dem blöden Rosengarten liegen, nicht?«
»Ich werde zwei Liegestühle herunterbringen«, sagte ich. »Einen für deine Mami und einen für dich. Die stellen wir da unten auf die Wiese, gleich neben den Bäumen, siehst du, da? Und dort kann Amigo bei dir liegen. Und da ist ebener Boden, da können wir auch Laufübungen machen.«
Für den Vormittag war ich vollbeschäftigt. Ich transportierte die Liegestühle, ein Buch für Renate, ihre Zigaretten, und später für jeden von uns einen Drink. Natürlich wurde ich bei diesen Aktionen von Annabelle erwischt.
»Wenn ich hier störe«, sagte sie spitz, »kann ich ja abreisen.«
»Du Dummkopf«, sagte ich zärtlich. »Ich liebe dich bis zum Wahnsinn. Und wenn ich ständig in deiner Nähe bin, muß ich dich vermutlich vergewaltigen. Sei also froh, wenn ich mich anderweitig beschäftige.«
Das versöhnte sie so weit, daß sie mitkam, um den Drink mit uns zusammen zu nehmen. Sie sah auch zu, als ich mit René die Gehübungen machte. Renate hielt ihn auf der einen, ich auf der anderen Seite. Ein paar Schritte hin, ein paar Schritte her. Es ging recht gut.
Auch Amigo sah uns aufmerksam zu. Er trug es mit einiger Fassung, daß wir alle in der Gesellschaft seines kleinen Freundes weilten. Er hielt einen gewissen Abstand, kam aber auch bereitwillig zu René, wenn dieser ihn rief. Und dann gelang es mir sogar, als ich mich vorsichtig neben die beiden ins Gras setzte, ihn zu streicheln. Er hielt ganz still, kein Knurren, kein Zähnefletschen. Und als ich die Hand zurückzog, bewegte er kurz und rasch, wie verlegen, die Rute.
Ich war direkt stolz auf diesen Erfolg.
Kurz vor dem Mittagessen badeten wir noch einmal, Annabelle und ich, und es gelang uns, auch Renate dazu zu überreden. Erst wollte sie nicht, blickte wie schuldbewußt auf ihren kranken Sohn. Aber als René rief: »Au ja, Mami, du mußt auch schwimmen. Ich komme mit ins Bad und sehe zu«, entschloß sie sich doch noch, schnell ihren Badeanzug herunterzuholen.
Als wir aus dem Wasser kamen, sah sie gar nicht mehr so traurig aus. Nicht mehr so blaß, nicht mehr so unglücklich. Sie lachte sogar, dehnte sich in der Sonne.
»Es wird alles wieder gut«, sagte ich leise, als ich ihr den Bademantel um die Schulter legte. »Nur Geduld.«
Sie lächelte mich dankbar an.
Als wir hinaufgingen, nachdem wir alle von Amigo ausführlich Abschied genommen und ihm ein reichliches Mittagsmahl versprochen hatten, ging Annabelle neben mir.
»Sie gefällt dir wohl sehr gut«, sagte sie leise.
»Ja,«, erwiderte ich ehrlich. »Sie gefällt mir. Und sie tut mir leid. Warum soll man sie nicht ein bißchen fröhlicher stimmen? Sieh mal, ich bin glücklich. Ich möchte, daß alle anderen Menschen es auch sind.«
»Du bist glücklich?«
»Seit gestern. Seit ich dich wiedergesehen habe.«
Ehe ich hinüberging zum Essen, schaute ich noch mal schnell im Pferdestall vorbei. Jeannot war nicht da, aber die Pferde hatten Hafer in ihren Krippen und ein Bündel Heu in der Box. Zu Bojar trat ich in die Box. Er legte zwar die Ohren an, ließ sich aber beim Fressen nicht stören.
»Morgen, Bojar, morgen versuchen wir beide es. Ich freue mich schon darauf. Wir machen einen schönen weiten Ritt. Freust du dich auch?«
Er gab keine Antwort, schlug nur mit dem Schweif nach den Fliegen.
»Du wirst schon sehen, daß wir beide miteinander auskommen. Und ich werde mich auch nach einer Koppel umsehen. Und heute nachmittag werde ich ins Apfelkammerli eindringen und sehen, ob noch ein paar Äpfel zu finden sind. Ist das ein Angebot?«
Ja, alle sollten glücklich sein. Nicht nur die Menschen. Auch die Tiere.
»Wie nett, daß man dich auch mal sieht«, begrüßte mich Tante Hille spitz, als ich zum Mittagessen eintraf. »Ich dachte schon, sie hätten
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