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Der Mond im See

Titel: Der Mond im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danella Utta
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indem ich aufstand. »Tja, dann mal los«, sagte ich. »Nützt ja nichts. Erst brauche ich einen Schnaps. Und dann werde ich telefonieren.«
    »Telefonieren?« fragte Tante Hille erstaunt.
    »Was sonst? Wir müssen die Polizei verständigen.«
    »Die Polizei?« fragte Tante Hille indigniert. »Ist das dein Ernst?«
    »Was denn sonst? Willst du ihn vielleicht heimlich im Garten begraben?«
    Sie antwortete mir nicht, aber ich sah ihr an, daß ihr das als praktischste Lösung erschienen wäre.
    »Na, da wird sich der Schnyder aber aufspielen«, murmelte sie.
    »Der Schnyder? Lebt der auch noch?«
    »Natürlich. Er ist immer noch Postenchef.«
    »Kann ich auch nicht ändern.«
    »Willst du nicht erst die Madame anrufen?«
    Gut. Erst die Madame, dann die Polizei. Und zuallererst brauchte ich einen Schnaps.
    Vorsichtig, auf Fußspitzen und ihn scheu musternd, schlichen wir drei an Monsieur Bondy vorbei und kletterten ins Erdgeschoß zurück.
    Ich trank einen großen Pflümli und begab mich dann ans Telefon.
    Postenchef der Ortspolizei von Wilberg war immer noch Wachtmeister Schnyder, eine mir wohl vertraute Persönlichkeit aus meiner Jugendzeit. Wir hatten ihn immer ›Sheriff‹ genannt. Erstens waren wir begeisterte Westernleser, der Ruedi und ich, und zweitens sah der Wachtmeister so aus, wie man sich einen echten Sheriff vorstellte. Groß, breit mit rotem Gesicht, dessen Gutmütigkeit er gern mit einer grimmigen Miene zu garnieren versuchte. Ein tüchtiger Beamter, der allerdings bei uns nicht gar zuviel zu tun hatte. Die Wilberger waren ein friedliches Volk. Mal eine Schlägerei, gelegentlich harmlose Diebstähle, Verkehrsdelikte gab es damals kaum. Das größte kriminalistische Ereignis, an das ich mich erinnere, war die Brandstiftung beim Bauern Häberlin, die der Sheriff auch erfolgreich aufgeklärt hatte.
    Auch wir, der Ruedi und ich, waren ihm des öfteren unangenehm aufgefallen. Beim Birnenstehlen, beim heimlichen Rauchen, und das schlimmste Delikt: als wir gemeinsam mit dem alten Ford von Ruedis Vater, dem Doktorwagen, einen Ausflug unternommen hatten, im hoffnungsvollen Alter von vierzehn Jahren. Der Ruedi am Steuer, ich daneben.
    Wir hatten das alte Vehikel in Gang gebracht und waren damit quietschvergnügt durch den Ort gerollt. Wachtmeister Schnyder hatte uns gesehen und mit seinem Fahrrad verfolgt. Das hatte den Ruedi nervös gemacht. Normalerweise wäre sicher nichts passiert. Aber weil der Ruedi statt auf die Straße in den Rückspiegel blickte, fasziniert vom wild strampelnden, schreienden und armschwenkenden Sheriff, waren wir mit Schwung an einem Baum gelandet. Der Sheriff holte uns, die wir verdattert und leicht angeschlagen im Wagen hockten, mit lautem Schimpfen heraus, gab jedem eine mächtige Ohrfeige und transportierte uns dann zu Ruedis Vater, der seinem Sohn noch eine klebte und mir die Schnittwunde an der Wange behandelte.
    Wenn man will, war ich in den Augen des Postenchefs von Wilberg vorbestraft. Zumindest vorbelastet. Aber da ich mich nachweisbar zur Stunde des Ablebens von Monsieur Bondy noch nicht in Wilberg befunden hatte, konnte er mir beim besten Willen den Mord nicht anhängen.
    Ein turbulenter Nachmittag! Die Polizei, der Ruedi in seiner Eigenschaft als Arzt, die fassungslose Madame de Latour, im Hintergrund Annabelle, alles fand sich im Gutzwiller-Haus ein.
    Natürlich lief eine Morduntersuchung in Wilberg nicht ganz nach den klassischen Regeln eines englischen Kriminalromans ab. Es gab weder Fingerabdruckexperten noch blitzende Fotografen. Es war weder düster noch neblig, sondern die Sonne schien, und es war sehr warm.
    Der arme Schnyder schwitzte erbärmlich, fuhr sich hilflos mit der Hand durch sein dichtes graues Haar, stellte uns allen strenge Fragen und kam schließlich zu der Erkenntnis, daß das alles so nicht seine Richtigkeit hatte. Als die beiden Gendarmen, die als Hilfskräfte fungierten, den toten Monsieur Bondy abtransportieren sollten, donnerte er: »Halt! Liegenlassen!« und stolzierte zum Telefon, um doch lieber die Kriminalpolizei aus der Kantonshauptstadt zu informieren.
    Während wir auf deren Eintreffen warteten, stellte er uns allen noch einmal die gleichen Fragen, deren Beantwortung er bereits in seinem Buch stehen hatte. Das spielte sich vor dem Haus ab. Denn wir wollten alle den toten Monsieur Bondy nicht mehr ansehen und vor allem nicht mehr riechen.
    Tante Hille hatte sich soweit erholt, daß sie renitent gegen die Staatsgewalt wurde.
    »Ich verlange,

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